
Natalie O’Hara: Wir müssen alle die Einmaligkeit des eigenen Lebens zu schätzen lernen und aufhören zu vergleichen.
von Laura Bähr
Natalie, viele verbinden dich in erster Linie mit der Serie „Der Bergdoktor“. Ist diese Zuordnung manchmal hinderlich für neue Besetzungsmöglichkeiten?
Natalie O’Hara: So eine langfristige Rolle ist natürlich Fluch und Segen zugleich. Die große Popularität der Serie hat mich deutlich bekannter gemacht, aber auch intensiv mit der Rolle verbunden. Wir Menschen neigen ja sehr zum Schubladendenken. Ich möchte natürlich wie jeder Schauspieler gerne verschiedene Seiten von mir zeigen und suche immer nach dem Ausgleich. Den finde ich aber glücklicherweise auch in anderen TV-Rollen und in meiner Theaterarbeit.
Die Serie wird oft mit dem „Heimatklischee“ in Verbindung gebracht, am Ende immer alles heile Welt. Was sagst du dazu?
Natalie O’Hara: Ich finde „Der Bergdoktor“ zeigt bei weitem nicht nur heile Welt – bei uns werden die heftigsten Probleme gewälzt, und wir stellen uns durchaus auch den Abgründen des Lebens. Nur versuchen wir dabei auch immer Lösungen aufzuzeigen und grundsätzlich ein hoffnungsvolles Gefühl beizubehalten. Aber es gibt zum Beispiel eine Folge, da stirbt ein 19-jähriger an Krebs und der stirbt dann auch, ohne Wenn und Aber.
Da ist nichts mit Heimat-Klischee und Gut-Wetter-Fernsehen. Wer traut sich schon mit dem Thema Sterben auf so eine emotionale Weise umzugehen? Die Menschen, die die Serie sehen, wissen eigentlich, dass die heile Welt nur auf das Bergpanorama zutrifft. Der Hans sagt immer so schön, der Berg ist halt einfach da, und das ist nun mal unsere Kulisse. (lacht)
“Ich finde „Der Bergdoktor“ zeigt bei weitem nicht nur heile Welt – bei uns werden die heftigsten Probleme gewälzt, und wir stellen uns durchaus auch den Abgründen des Lebens.”
Bietet denn die Serie wirklich Lebenshilfe?
Natalie O’Hara: Das ist auf jeden Fall das, was mir regelmäßig von den Zuschauern gespiegelt wird. Uns haben schon viele Menschen geschrieben, wie sehr ihnen die Serie in schweren Zeiten geholfen hat. Das hat sicher auch etwas mit der Sehnsucht nach dem perfekten Arzt zu tun. In der Hinsicht malen wir ja wirklich ein Idealbild, das gebe ich zu.
Der Arzt, der sich hingebungsvoll jedem Patienten widmet, egal welche Krankenkasse der hat… (lacht) Aber es gab tatsächlich auch eine Geschichte, da konnte eine seltene Krankheit bei einer Frau diagnostiziert werden, weil sie durch unsere Serie darauf aufmerksam gemacht wurde. Und eine ganze Abiturklasse tauchte mal beim Fantag auf, weil ihr Lehrer unsere Fälle im Ethikunterricht durchgenommen hatte. Also irgendwas scheint schon besonders an unserer kleinen Familienserie…
Wie hat die Rolle, die du jetzt schon über 10 Jahre spielst, deine Eigenschaften als Schauspielerin verändert?
Natalie O’Hara: Ich habe in den Jahren natürlich viel gelernt, insbesondere von meinen großartigen Kollegen im Hauptcast, die ja alle von Anfang an dabei sind. Und ich konnte mich durch das sichere Umfeld auch ein bisschen ausprobieren und frei spielen vor der Kamera. Man kommt der Rolle auch immer näher und muss sich nicht mehr so intensiv vorbereiten, wie am Anfang, man wird dann am Set automatisch zur „Susanne“. Menschlich hat mir die Serie eine Zweit-Familie geschenkt.
“Das hat sicher auch etwas mit der Sehnsucht nach dem perfekten Arzt zu tun.”
Du hast in einer Szene beim Bergdoktor darum gebeten, den Text deiner Figur ein bisschen anzupassen. Hast du öfter das Bedürfnis in die Drehbücher einzugreifen?
Natalie O’Hara: Das passiert schon häufiger. Wir als Schauspieler haben ja relativ wenig Möglichkeiten in die Geschichte der Charaktere einzugreifen, obwohl wir sie besonders gut kennen.
Und ich sehe es einfach als meinen Job an, dass ich meine Figur authentisch und menschlich nachvollziehbar darstelle und dafür muss ich auch selbst davon überzeugt sein, warum ich etwas wie spiele. Und wenn ich dann zum Beispiel finde, dass die Beweggründe meiner Figur so einfach nicht glaubhaft sind und ich gerne noch einen Aspekt hinzufügen würde, dann spreche ich sowas an. Bei uns am Set ist das eine schöne Kooperation – wenn man gut argumentiert, darf man auch etwas verändern.
In einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung hast du dich als „Anwältin deiner Figuren“ bezeichnet. Sollten sich deiner Meinung nach mehr Schauspieler in dieser Rolle sehen?
Natalie O’Hara: Ich glaube jeder Schauspieler arbeitet anders. Es ist fast eine philosophische Frage, was gutes Schauspiel überhaupt ist. Mein Weg ist, dass ich die Dinge, die ich spiele, die Entscheidungen meiner Figur, ihre Motive und Sehnsüchte zu 100% verstanden haben will, so dass ich in ihrer Gedankenwelt zuhause bin, für ihre Ziele kämpfen und ihre Integrität verteidigen kann. Aber andere Kollegen haben andere Wege – da maße ich mir kein Urteil an.
“Es ist fast eine philosophische Frage, was gutes Schauspiel überhaupt ist.”
Neben deiner TV-Karriere bist du auch auf den Theaterbühnen unterwegs. Worin unterscheidet sich das Spielen von der Kamera und vor dem Publikum?
Natalie O’Hara: Der größte Unterschied ist auf jeden Fall, dass man beim Theater chronologisch spielen darf. Da steigt man am Anfang ein und die Geschichte trägt einen automatisch. Beim Film wird nun mal unchronologisch, je nach Drehmotiv, gedreht. Da kann es dann auch mal sein, dass man an einem Tag Szenen aus drei unterschiedlichen Folgen spielt und immer wieder vor und zurück springt.
Dann muss man als Schauspieler jeden Looping in den Emotionen selber schlagen, während man sich beim Theater von der Entwicklung der Geschichte treiben lassen kann. Der zweite große Unterschied ist der direkte Kontakt zum Publikum. Im Theater arbeitet das Publikum ein Stück weit mit, so dass jeder Abend ein bisschen anders wird. Dieser energetische Austausch fehlt einem natürlich beim Drehen, so dass man die Verbindung mit der Kamera anders schaffen muss.
Beim Film kann man dafür aber viel natürlicher spielen, weil die Kamera die intimsten Momente einfängt, da reicht es häufig nur zu denken. Vor Publikum muss man hingegen auch bei den leisesten, zurückhaltenden Momenten immer ein bisschen mehr geben, damit es auch in der letzten Reihe des Saals ankommt.
“Der größte Unterschied ist auf jeden Fall, dass man beim Theater chronologisch spielen darf. Da steigt man am Anfang ein und die Geschichte trägt einen automatisch. Beim Film wird nun mal unchronologisch, je nach Drehmotiv, gedreht.”
Du machst immer wieder darauf aufmerksam, dass dich die Kategorisierung in Deutschland in TV, Kino und Theater nervt. Was meinst du – woher kommt das?
Natalie O’Hara: Das ist ein großes Thema. Ich glaube, das Kernproblem ist, dass wir in Deutschland diese Trennung zwischen „U“ und „E“ gemacht haben und das scheinbar in allen Genres. Da hat man die klassische Musik und die Popmusik und es gibt immer ganz wenig Grenzgänger, denen man zugesteht, sich in beiden Feldern aufzuhalten. Und wenn Kunst Geld macht, wird sie im nächsten Schritt von vielen nicht mehr als Kunst akzeptiert.
Außer interessanterweise in der bildenden Kunst, aber ein Literatur-Bestseller gewinnt in den seltensten Fällen einen Nobelpreis. (lacht) Beim Theater hat sich mittlerweile das Genre des „Feuilleton-Theater“ entwickelt, das es sich leisten kann, zu sagen, es ist uns erstmal egal, wie die Stücke beim Publikum ankommen, wir haben einen anderen Anspruch. Das können sich die Privathäuser so natürlich nicht erlauben – wodurch das eine Theater unweigerlich auf das andere hinabschaut. In jeder Branche bilden sich so die Lager, auch zwischen Kino und TV. Und sogar zwischen den TV-Sendern.
Ich glaube, dass unsere Kulturszene noch viel reicher wäre, wenn wir uns diesbezüglich mehr an England und USA orientieren würden, wo es immer nur um gutes Theater oder schlechtes Theater geht, egal welches Genre, und wo es niemanden überrascht, wenn ein Schauspieler in einem Jahr in einem Blockbuster-Actionfilm, einer Shakespeare-Inszenierung und einem Musical zu sehen ist.
“In jeder Branche bilden sich so die Lager, auch zwischen Kino und TV.”
Du bist Botschafterin für den Verein „Recover your Smile“, der krebskranken Frauen professionelle Fotoshootings schenkt. Wie wichtig ist es seinen eigenen Körper zu akzeptieren?
Natalie O’Hara: Ich finde das wahnsinnig wichtig und elementar für ein glückliches Leben. Ich glaube, dass beinahe jede Frau mal durch eine Selbstzweifelphase geht und in der heutigen Zeit vermutlich auch zunehmend die Männer. Ich glaube, die Gesellschaft wäre eine ganz andere, wenn jeder Mensch mit sich selbst glücklich wäre und sich akzeptierten würde. Das ist vermutlich auch der Auftrag, den wir am Anfang unsers Lebens mitbekommen, dass wir lernen, uns selbst zu lieben und unser Leben gut zu finden.
Beziehungsweise es so zu gestalten, dass wir es lieben können. Das klappt natürlich nicht immer, aber wir sollten es zumindest viel öfter probieren, schließlich ist das Leben ein Geschenk. Und das einzige, was wir diesem Geschenk zurückgeben können, ist Dankbarkeit. Wenn ich mich aber permanent selber als ungenügend empfinde und ablehne, dann ist das sehr schwierig. Ich glaube auch, dass viele Figur-Probleme und optische Geschichten aus der grundlegenden Unzufriedenheit der Personen mit sich selbst herrühren – das bedingt sich leider gegenseitig und man kommt schnell in eine Art Teufelskreis.
Wenn man aber anfängt dankbar zu sein, für seine Gesundheit und für seinen Körper, der ja nun mal ein Wunder der Natur darstellt, dann kann man sich plötzlich auch mit ganz anderen Augen sehen. Ich möchte mich nicht mehr selbst dafür hassen, dass ich ein Kilo zu viel auf den Hüften habe. Das habe ich lange genug gemacht und dann irgendwann beschlossen, dass das Leben dafür zu kurz ist.
“Wenn man aber anfängt dankbar zu sein, für seine Gesundheit und für seinen Körper, der ja nun mal ein Wunder der Natur darstellt, dann kann man sich plötzlich auch mit ganz anderen Augen sehen.”
Ist das heutzutage in Zeiten von Social-Media schwerer geworden?
Natalie O’Hara: Natürlich ist das durch die ganzen Medien, Schönheitsoperation und Fotobearbeitung schlimmer geworden – dieses System verschärft den Druck allgemein. Allerdings gab es diese Gefühle auch schon vor Germany‘s Next Topmodel und Co. Dieser Glaube, dass nur jung und schlank schön ist, der existiert gefühlt schon mein Leben lang.
Die Beauty-Industrie verdient nun mal sehr viel Geld damit, uns unsere Unzulänglichkeit einzureden. Darüber hinweg zu kommen und zu erkennen, dass es um ganz andere Dinge geht, wird einem durch die Bilderfluten sicher schwerer gemacht.
Was würdest du den jungen Mädchen von heute raten?
Natalie O’Hara: Positiv denken! Sich auf das Gute konzentrieren, Dankbarkeit pflegen. Mutig den eigenen Weg suchen. Wir müssen alle die Einmaligkeit des eigenen Lebens zu schätzen lernen und aufhören zu vergleichen. Dazu gehört bestimmt auch, sich die Endlichkeit des eigenen Lebens immer mal wieder bewusst zu machen – irgendwann gibt es nichts mehr zu vergleichen und die Zeit bis dahin sollte man doch lieber mit anderen Dingen füllen, oder?
Wenn man sich klar macht, dass unser Leben zeitlich begrenzt ist und ein gesunder Körper, mit dem man tanzen, singen und gehen kann wohin man will, das größte Geschenk überhaupt ist, dann sieht man das vielleicht schon ein bisschen klarer. Ich habe außerdem das Gefühl, dass ein Körper, der sich akzeptiert fühlt, auch gleich viel besser aussieht. Der bekannte Rückkopplungseffekt. Dankbarkeit macht glücklich, glücklich sein macht schön.
“Dankbarkeit macht glücklich, glücklich sein macht schön.”
Aktuell scheinen immer mehr Models und Influencer sich als Schauspieler zu probieren. Wie schätzt du diese Entwicklung ein – mehr Konkurrenz?
Natalie O’Hara: Schauspielerei ist nun mal kein geschützter Beruf und sehr viele Wege führen nach Rom. Es gibt Menschen, die sind echte Naturtalente und auch ohne Ausbildung sensationell vor der Kamera und die gehören da einfach hin. Andere, denen es vielleicht in erster Linie um eine erhoffte Prominenz geht, stoßen schnell an ihre Grenzen.
Langfristig wird sich Qualität durchsetzen – davon bin ich überzeugt. Außerdem gibt es so viele Schauspielerinnen – da kommt es auf ein paar mehr Konkurrentinnen nicht mehr an. (lacht) Auch da muss man den Vergleich am besten ganz lassen, sonst wird man nicht mehr fertig. Man kann in diesem Beruf nur darauf vertrauen, dass man seinen eigenen Weg findet und es Platz für alle gibt.
Dein Mann ist Musicalproduzent und du selbst spielst verschiedene Instrumente. Welchen Stellenwert nimmt Musik in deinem Leben ein?
Natalie O’Hara: Musik nimmt einen großen Teil in meinem Leben ein und ist auch mit das wichtigste Hobby, was ich mir neben meinem Beruf als Schauspielerin erhalten habe. Musik, vor allem das Klavierspielen, ist für mich der perfekte Ausgleich nach einem stressigen Tag, weshalb ich seit einiger Zeit auch wieder verstärkt Unterricht nehme und sehr viel übe.
“Langfristig wird sich Qualität durchsetzen – davon bin ich überzeugt.”
Du bist Halbamerikanerin und hast dir extra einen Twitter-Account eingerichtet, um Trumps Tweets zu verfolgen. Wie wichtig ist es heutzutage informiert zu sein?
Natalie O’Hara: Das ist ein schwieriges Thema. Rund um die Wahl und kurz danach war ich ein richtiger News-Junkie und habe dann aber irgendwann gemerkt, dass es mich fast depressiv gemacht hat und ich dringend eine Trump-Pause einlegen musste. Nichtsdestotrotz finde ich es sehr wichtig, dass man sich informiert und man in Sachen Nachrichten auch seinen eigenen Zugang findet. Ich höre viele Podcasts und schaue viel amerikanisches Fernsehen.
Und ich liebe die hochwertigen politischen Kaberettsendungen wie „Die Anstalt“ oder „Die Heute-Show“ und ihre amerikanischen Vorbilder. Ich denke immer, solange es die noch geben darf, ist das Land noch nicht ganz verloren. Außerdem ist sowas für mich nach einem CNN-Marathon immer der perfekte Ausgleich. Da kann man sich informieren und bekommt schon direkt das Ventil für die Nachrichten mitgeliefert – Lachen. Vieles kann man schließlich nur noch mit Humor ertragen.