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Juso-Bundesvorsitzenden Kevin Kühnert © Jan Pries

Meine Aufgabe ist es momentan, den Willen zur Erneuerung der SPD weiter in den Köpfen zu verankern.

von Jan Pries

Kevin, wir treffen uns hier am Rande des Bundesverbandswochenendes der Jusos in Aachen. Welche Impulse und Ideen nimmst du aus dem Treffen mit und wie gestaltet sich der Erneuerungsprozess der SPD bisher aus deiner Sicht?

Ich glaube, dass die sogenannte Erneuerung zunächst ein sehr langwieriger Erkenntnisprozess ist. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, was es eigentlich konkret bedeutet, wenn man eine Partei erneuern möchte. Momentan passiert etwas, das wir alle so bisher aus den vergangenen Jahren noch nicht gekannt haben. Es gibt jetzt an der Parteispitze ein ernsthaftes Interesse daran, neuen Konzepten Raum zu geben. Deswegen ist unsere Aufgabe momentan, den Willen zur Erneuerung weiter in den Köpfen zu verankern. Im ersten Schritt bedeutet das nämlich, dass wir einen Überschuss an Ideen und Konzepten erarbeiten müssen. Bei Juso-Veranstaltungen wie an diesem Wochenende wird idealistischer gedacht und diskutiert, als in anderen Teilen der Partei. Bei uns geht es gleich um die großen Themen wie Einwanderung oder Vermögensfragen und ich glaube, dass ist auch genau die Flughöhe, die wir jetzt in der Debatte um Parteierneuerung brauchen.

Welches Thema liegt dir derzeit besonders am Herzen und gibt es ein Politikfeld, was dich zurzeit umtreibt?

Jenseits von Themen wie zum Beispiel Sozialpolitik, die mich immer interessieren, bewegen mich gerade insbesondere die internationalen Geschehnisse. Wir befinden uns in einer Zeit, die immer stärker von sehr autoritären Strukturen bestimmt wird, von denen wir vielleicht dachten, dass wir sie eigentlich hinter uns gelassen hätten. Putin, Erdogan und andere stehen dafür. Aber wenn auch eine Gesellschaft wie die der USA plötzlich von einem sehr autoritären Präsidenten regiert wird, dann muss man sich die Frage stellen, welche Art von Politik wir dem entgegenstellen können. Da geht es darum auch einen Kontrast zu zeigen. Ich glaube, dass das vor allem auch ein europäisches Thema ist. Wir in Europa können uns mit dieser teils bipolaren Welt mit verschiedenen Regimen, die uns suspekt sind, nicht so wirklich anfreunden und müssen dem eine eigene Idee von politischen Aushandlungsprozessen entgegen stellen, die demokratischer und friedensorientierter ist. Leider sind wir davon noch ein ganzes Stück entfernt.

Kommen wir nochmal auf den Beginn deiner Amtszeit als Bundesvorsitzender der Jusos zu sprechen. Wie hat sich der Alltag seitdem verändert und welche neuen Erfahrungen hast du gemacht?

Vieles ist einfach passiert, da hatte ich gar nicht so viel Zeit drüber nachzudenken. Gleich zu Beginn ging es Schlag auf Schlag. Ich habe das Amt daher gar nicht anders kennengelernt als so, wie ich es bis heute erlebe. Ich habe außerdem das Glück mit einem super professionellen Team arbeiten zu können, was ganz viel auffängt und dafür sorgt, dass es auch nach wie vor noch genügend Freiräume gibt um mal zwischendurch den Kopf wieder frei zu kriegen. Ich persönlich merke aber, dass es einen gewissen Verlust von Anonymität gibt. Das ist für mich der krasseste Einschnitt, auch wenn er bisher noch auf angenehme Weise geschieht. Ich habe jetzt noch keine öffentlichen Anfeindungen oder so erlebt, aber ich kann halt nur noch sehr bedingt auf der Straße unterwegs sein, ohne nicht auch erkannt zu werden. Das ändert auch etwas an meinem Auftreten und Handeln. Diesen Prozess an mir selbst zu beobachten ist auf gewisse Weise auch etwas skurril. *lacht*

Als Journalist interessiere ich mich für die Entwicklungen in der Medienbranche. Wie hat sich der Umgang mit den Medien verändert und hast du auch schon schlechte Erfahrungen gemacht?

Einschneidend war sicherlich die Geschichte mit der BILD und mit diesem Titanic-Fake. Ich würde gerne sagen, dass es mich überrascht hätte, aber das hat es mich eigentlich dann doch nicht. Trotzdem rechnet man erstmal nicht konkret mit so etwas.

(Anmerkung der Redaktion: Die BILD hatte über Mails berichtet, die Kevin Kühnert vermeintlich belasten sollen. Aus den Mails ging hervor, dass Kühnert aus Russland ein Hilfsangebot für seine Kampagne gegen eine große Koalition erhalten habe. Es stellte sich aber heraus, dass das Satiremagazin Titanic die Mails gefälscht und damit eine Falschmeldung der BILD provoziert hatte).

Ansonsten bin ich bisher auf einen Berufsstand getroffen, der zu ganz großen Teilen sehr professionell und korrekt arbeitet und wo ich mich überhaupt nicht beschweren kann. Was ich bei der Zusammenarbeit mit Journalisten aber einfach merke ist, dass es in der Medienbranche einen enormen Zeitdruck gibt. Darunter leidet gelegentlich die Qualität, das ist nicht viel anders als in der Politik.

Die „No-GroKo-Tour“ ist nun einige Wochen her. Wie hast du das ganze hinter dich gebracht und hattest du auch mal Zeit zu reflektieren, was in der letzten Zeit so passiert ist?

Ich hatte über Ostern die Möglichkeit einfach mal etwas Abstand zu dem ganzen zu gewinnen und den Kopf frei zu kriegen. Was unter anderem haften geblieben ist, ist das Verantwortungsgefühl gegenüber den Menschen, die zu den Veranstaltungen gekommen sind. Da gab es Mitglieder, die mir gesagt haben, dass sie nur noch nicht aus der SPD ausgetreten sind, weil sie an unsere Idee von der Parteierneuerung glauben. Und genau daran werden wir nun intensiv weiterarbeiten.

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Juso-Bundesvorsitzenden Kevin Kühnert © Jan Pries

Kommen wir nochmal zu einem anderen Thema. Ich würde gerne über deine Heimatstadt Berlin sprechen. Was schätzt du persönlich an der Stadt und vielleicht auch an der politischen Kultur dort?

Ich fühle mich nicht in erster Linie als Stadtmensch, sondern tatsächlich als Berliner. Berlin ist nach meinem Verständnis eine sehr besondere Stadt, was natürlich auch mit der Geschichte ganz viel zu tun hat. Es gibt nicht ein Stadtzentrum, sondern dutzende Subzentren. Dadurch entstehen auch für die Personen, die hier leben, viele Nischen und Lebensräume. Genau das macht den Geist dieser Stadt aus und bedeutet für mich Vielfalt – es gibt nicht das eine Berlin oder das eine Berlingefühl. Hier treffen unheimlich verschiedene Menschen aufeinander und das coole ist, das sich die allermeisten in ihrem Dasein akzeptieren, mindestens aber tolerieren. Das ist sehr angenehm. Ansonsten mag ich einfach die Urbanität. Um mich herum muss immer etwas passieren und ein bisschen Reizüberflutung tut mir gut. Und mich interessieren einfach Menschen und da wo mehr Menschen sind, kann man mehr Menschen beobachten und das geht nirgendwo so gut, wie in Berlin.  

Nun zur letzten Frage. Gibt es die Möglichkeit, dass du neben der Politik auch nochmal in einem ganz anderen Beruf landest?

Klar, also ich bin da gar nicht so festgelegt wie es vielleicht scheint. Es gibt einfach Eigenschaften, die jeder Mensch hat und die einen in eine bestimmte Richtung drängen. Ich bin eher der kreative Typ und vielleicht könnte sich daraus auch einmal was ergeben, was nichts mit Politik zu tun hat.