
Ich bin Mensch zuerst und erst dann Fotograf.
von Jan Pries
Daniel, du hast wie viele Journalisten Politikwissenschaft studiert. Mittlerweile arbeitest du aber vor allem als Fotograf. Wann hast du begonnen dich mit der Fotografie zu beschäftigen und wie bist du zum Fotojournalismus gekommen?
Ich habe die Fotografie immer im Hinterkopf gehabt und es war immer mein Ziel als Fotojournalist zu arbeiten. Als ich 2013 einen Dokumentarfilm mit dem bekannten US-amerikanischen Kriegsfotografen James Nachtwey gesehen habe, wusste ich genau, was ich machen wollte. Es hat aber viele Jahre gebraucht, bis ich mich dann wirklich dazu entschließen konnte als Fotograf in Krisengebiete zu reisen und dort zu arbeiten.Als ich mit dem Studium begonnen habe, gab es keine Ausbildung in Deutschland für Fotojournalismus. Gleichzeitig fand ich es wichtig mir ein breites Wissen anzueignen. Daher habe ich erst Politik studiert und dann noch eine Ausbildung an der Journalistenschule in München drangehängt. Mein Weg in den Fotojournalismus war daher nicht unbedingt der geradlinigste.
Wo hast du gelernt mit der Kamera umzugehen und welche Fähigkeiten braucht ein guter Dokumentarfotograf neben der Beherrschung der Technik?
Die Fotografie habe ich schon während meiner Jugend entdeckt und früher vor allem für Sportmagazine BMX-Fahrer fotografiert. Während des Studiums habe ich dann begonnen auch eigene, dokumentarische Projekte umzusetzen. Ich arbeite nicht großartig mit künstlichem Licht und auch nicht im Studio, die Technik, die ich für meine Arbeit brauche ist daher relativ überschaubar. Viel wichtiger ist es, ein ästhetisches und narratives Gespür für Geschichten zu entwickeln. Und man braucht Vorbilder, ohne dabei zu vergessen, an einer eignen Bildsprache zu arbeiten. Über die Zeit kann man so eine eigene Art der Fotografie entwickeln. Es gehört einfach dazu, ganz viel auszuprobieren, dabei auch immer wieder zu scheitern und viel Zeit mit der Fotografie zu verbringen.
Als Fotojournalist bewegst du dich in vielen Krisengebieten dieser Welt und du fotografierst Konflikte und Schicksale. Wo hast du damit angefangen?
Zum ersten Mal war ich direkt nach meinem Studium nach dem Erdbeben in Haiti. Dort habe ich dann auf eigene Faust fotografiert und versucht meine Arbeiten zu verkaufen. Leider haben meine Bilder aber nicht so eine große Abnehmerschaft gefunden, wie ich mir das erhofft hatte. Das hat mich zunächst erst einmal auch frustriert und enttäuscht. Die Legitimation als Fotograf in solche Situationen zu gehen und in eine sehr intime Sphäre von Menschen einzudringen, ziehe ich vor allem daraus, dass man auf diese Menschen und ihre Geschichte aufmerksam machen kann. Anschließend bin ich dann nach Indien gegangen und habe dort eigene Reportagen fotografiert. Dort habe ich dann tatsächlich auch meinen ersten journalistischen Auftrag von der New York Times erhalten und eine Geschichte über Korruption umgesetzt. Dazu habe ich unter anderem eine Demonstration von Bauern fotografiert, die Widerstand gegen ihre Landenteignung leisteten.
Wie sieht dein derzeitiges Foto-Equipment aus, mit dem du auf deinen Reisen arbeitest?
Das ist relativ simpel: Ich arbeite vor allem mit einer Canon 5D Mark IV und in den aller meisten Fällen mit einer 35mm-Festbrennweite. Auf meine Reisen nehme ich dann meist noch eine Ersatz-Kamera und ein paar weitere Objektive mit – die bleiben aber eigentlich immer im Hotel.
Zusammen mit Fotografen der New York Times wurdest du 2016 in der Kategorie „Breaking News Photography“ mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet. Welche Geschichte steckt Hinter dem Bild?
In den vergangenen Jahren habe ich einem Großteil meiner Arbeit der Flüchtlingskrise gewidmet. Dabei habe ich vor allem Flüchtlinge fotografiert, die sich aus unterschiedlichen Gründen auf den Weg nach Europa gemacht haben. Diese Thematik wurde lange Zeit von den Medien ignoriert und ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich Anfang 2015 mit Redakteuren darum kämpfen musste, Fotogeschichten zur Flüchtlingskrise in Magazinen unterzubringen. Doch als sich im Laufe des Jahres abzeichnete, dass sich eine große Zahl an Flüchtlingen aus der Türkei in Richtung Griechenland bewegen würde, entwickelte sich dieses Thema dann blitzschnell zu dem Medienereignis schlechthin.
Wann ist das ausgezeichnete Bild entstanden und welche Situation hast du fotografiert?
Das Foto ist im August 2015 entstanden. Ich stand frühmorgens am Strand der griechischen Insel Kos und wartete auf einer der Sonnenliegen eines Luxushotels am Strand auf ankommende Boote. Ich hatte bereits zuvor über mehrere Tage dort gewartet. An jenem Morgen sah ich in der Ferne einen schwarzen Punkt, mitten auf dem Meer. Als der Punkt näherkam konnte ich ein Boot erahnen. Ich bin dann in meinen Leihwagen gesprungen und zu der Stelle gerast, wo das Boot an Land gehen würde. Ich kam an als die Flüchtlinge noch etwa 20 oder 30 Meter von der Küste entfernt waren. Man konnte sehen, dass dieses Boot bereits viel Luft verloren hatte und unterzugehen drohte. Das Boot war für vier Leute ausgelegt. Darauf war rund ein Dutzend. Die Menschen waren in Panik, sahen aber dann das rettende Ufer. Dann am Strand stieg ein Mann aus dem Boot – vielleicht Mitte 40. Er war von dieser Überfahrt sehr gezeichnet, zitterte am ganzen Körper und konnte sich kaum noch auf den Beinen halten – jüngere Männer stützten ihn. Als er sicheren Boden unter den Füßen hatte, holte er seine Familie zu sich. Sie lagen sich in den Armen, haben geweint, waren erleichtert. Diesen Moment konnte ich mit der Kamera einfangen. Mich Persönlich hat diese Situation sehr überwältigt und zutiefst berührt.
Es kommt immer wieder vor, dass du Menschen in Notsituationen fotografierst. Wo liegt da die Grenze zum Voyeurismus? Gab es schon Momente, in denen du die Kamera weggelegt hast?
Klar, ich bin Mensch zuerst und erst dann Fotograf. Aber bei dieser Flüchtlingskrise war es selten so, dass ich der einzige Helfer vor Ort war. Ich war nie in der Situation, dass ich als einzelne Person mit meinem Handeln einen Unterschied gemacht hätte. Auch wenn es etwas komisch klingen mag, bin ich außerdem sehr dafür, dass es eine klare Rollenverteilung gibt. Die Helfer sind meist professionell ausgebildet und ich konzentriere mich nun mal auf das Fotografieren. Aber natürlich habe ich auch schon geholfen: „Wenn man sieht, dass da eine Frau weit von der Küste entfernt im Wasser steht und über Felsen zum Ufer kommen muss, hilft man natürlich.“ Das haben die meisten meiner Kollegen gemacht und das habe ich gemacht. Ich habe aber auch immer versucht meine Rolle als Fotograf auszuführen.
Wie funktioniert die Arbeit in den Krisengebieten vor Ort konkret?
In den meisten Fällen arbeite ich im Team. Man ist häufig mit einem Reporter, einem Übersetzer und einer Person von vor Ort unterwegs, die sich mit der Kultur und der Sicherheitslage auskennt.
Gab es schon einmal eine Situation, in der du um dein Leben fürchten musstest?
Gefährliche Situationen gibt es natürlich immer wieder, aber das ist einfach Teil des Berufs.
Glaubst du, dass sich der Beruf des Fotojournalisten auch in Zukunft geben wird? Spezialisieren sich Fotografen heute nicht besonders stark?
Ich glaube, dass es damals wie heute Schubladen gab und gibt, in die man Fotografen einsortiert. Darüber hinaus spezialisieren sich viele Fotografen natürlich auch. Ich kenne welche, die sich nur an der Front befinden und gar kein Zuhause mehr haben. Es gibt dann andere, die sich, genau wie ich, viel mit der Flüchtlingsthematik auseinandergesetzt haben. So entwickelt man auch sein eigenes Portfolio und meist ist es dann so, dass Redakteure dir einen Auftrag geben, weil sie dich als Fotografen mit einem speziellen Themengebiet in Verbindung bringen.
Hast du Pläne für die kommenden Wochen? Gibt es Projekte, die auf dich warten?
Ich bin zurzeit noch dabei ein eigenes Projekt zu fotografieren; das führe ich in den kommenden Tagen fort. Ab Mitte Juni habe ich dann einen Auftrag von einem deutschen Magazin. Vielmehr kann ich noch nicht verraten. *lacht*