
Viele neue Wohnkonzepte entstehen nicht deswegen, weil wir sie vorher konkret durchdekliniert und linear geplant haben, sondern weil es Räume der Möglichkeiten gibt.
von Laura Bähr & Jan Pries
Van Bo, gibt es einen Architekturstil, dem du dich besonders zugehörig fühlst?
Die von mir initiierten Projekte wie die Hartz-IV-Designermöbel werden immer wieder im Bereich des „Social Designs“ verortet. Dabei mag ich den Begriff „Design“ gar nicht so sehr; der hat für mich etwas Anbiederndes. Als Designer ist man zumeist einem Auftraggeber verpflichtet und ich persönlich versuche Projekte ohne konkrete Auftraggeber umzusetzen. Ich sehe vielmehr die Bürgerinnen und Bürger als meine Auftraggeber und ich arbeite an nachhaltigen und innovativen Wohnkonzepten für die Bevölkerung. Mir geht es darum, vor allem mit den Menschen gemeinsam etwas zu gestalten und zu entwerfen. Grundsätzlich fühle ich mich mit der Bauhaus-Architektur sehr verbunden.
Was sagst du zum aktuellen Kampf um bezahlbaren Wohnraum in den Großstädten und was kann man dafür tun, bessere Bedingungen zu schaffen?
Viele neue Wohnkonzepte entstehen nicht deswegen, weil wir sie vorher konkret durchdekliniert und linear geplant haben, sondern weil es Räume der Möglichkeiten gibt. Wir sollten daher unbedingt lernen, jenseits des gezielt Planbaren zu Denken und zu Handeln und Begegnungsräume für Utopien eröffnen. Ich glaube, dass man der Wohnungsnot begegnen kann, indem man die Menschen viel stärker in Bauprozesse einbezieht. In vielen schlummert ganz viel Wissen und gerade auch Menschen aus anderen Kulturkreisen bringen häufig neue, innovative Ideen mit nach Deutschland. Während der Flüchtlingskrise bin ich beispielsweise vor dem Lageso, dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales, mit vielen Geflüchteten ins Gespräch gekommen. Fast alle von ihnen wohnen in Flüchtlingsbauten, sogenannten Tempo-Homes, die auf einem modularen Aufbau basieren. Dieses Modell wird überall in Deutschland genutzt. Doch als ich mich mit dem Thema beschäftigt habe, bin ich bei meinen Plänen damals zu ganz anderen Ergebnissen gekommen.
Wie sahen diese Pläne aus und hast du deine Ideen auch umgesetzt?
Im Sommer 2015 habe ich mit den Geflüchteten das sogenannte Hotel Lageso entwickelt. Ein Mini-Haus zum selber bauen. Zu der Zeit haben hunderte Geflüchtete jede Nacht vor Gebäuden auf der Straße geschlafen und waren den Wetterbedingungen schutzlos ausgeliefert.Während man für die „Tempo-Homes“ viele Genehmigungen braucht, kann das „Hotel Lageso“ quasi jedermann in Eigenregie aufbauen. Es ist ein Haus in Menschengröße, das ohne großen Aufwand selber gebaut und transportiert werden kann. Und genau das war in dem Moment eine gute Idee, um den Menschen Hoffnung zu machen und ihnen die Möglichkeit zu geben, selber tätig zu werden, anstatt immer weiter warten zu müssen.
Bekannt geworden bist du unter anderem mit Entwürfen von den sogenannten Hartz-IV-Möbeln. Wie kam es dazu?
Die Hartz-IV-Möbel habe ich bereits vor vielen Jahren entworfen, in einer Zeit, in der vieles noch ganz anders war. Die Entwicklung des Internets und sozialer Medien stand noch am Anfang und das Internet erlebte zu der Zeit einen Boom. Genau deshalb sind die Hartz-IV-Möbel bestimmt auch so bekannt geworden, weil man die Entwürfe dazu im Internet finden und sich selber bauen konnte. Möbel sind für mich grundsätzlich ein soziales Thema. Denn Möbelstücke können dein soziales Verhalten und Zusammenleben beeinflussen. Deshalb habe ich mir für das Projekt auch das asozialste Wort Deutschlands gewählt: „Hartz IV“. Damit wollte ich Kritik an der Möbelindustrie üben, die nur noch von Kommerzialisierung und Profit geprägt ist und kaum auf soziale oder gesellschaftliche Entwicklungen reagiert.
Welchen ästhetischen Anspruch hattest du beim Konzipieren der Hartz-IV-Möbel?
Schon den Bauhaus-Designern, die vor rund 100 Jahren ihre Möbel entwarfen, war es ein Anliegen für mehr Gerechtigkeit zu sorgen und allen Menschen die Möglichkeit zu geben, sich eine Wohnung schön einzurichten. Mittlerweile sind diese ganzen Möbel unter Verschluss oder exorbitant teuer und das widerspricht eigentlich der Grundidee.Mein ästhetischer Anspruch war es, elegante und schöne Möbel zu entwerfen. Ich habe sozusagen dafür gesorgt, dass sich jeder selbst seinen Klassiker nachbauen kann, ohne dafür unendlich viel Geld ausgeben zu müssen.
Jetzt haben wir gerade schon über die Bauhaus-Designer gesprochen. Auf dem Bauhaus-Campus in Berlin hast du zuletzt eine Ausstellung mit sogenannten Tiny Houses kuratiert. Wie bist du dazu gekommen?
Mich erschüttert es, wie wir im alltäglichen Leben mit Raum umgehen. Dabei geht es zum Beispiel um Obdachlosigkeit und Verdrängung. Deshalb habe ich mich gefragt, wie sieht eine Welt aus, in der wir mit öffentlichen Ressourcen wie Brachflächen und ungenutzten Grundstücken anders umgehen. Ich habe dann begonnen auf dem Bauhaus-Campus, zusammen mit anderen Mitstreitern, ein Dorf aus Tiny Houses zu gründen. In den Mini-Häusern hat man vieles von dem, was man zum Leben braucht: Küche, Essplatz, Schreibtisch, einen Heizofen, Bad und einen Schlafbereich. Das alles passt auf rund 6 Quadratmeter Wohnfläche. Tiny Houses können allerdings nicht alle Bedürfnisse eines Menschen abdecken und müssen an den urbanen Raum angedockt werden, wo wir alles finden, was wir in den Mini-Häusern so nicht haben. Dennoch sind sie eine Möglichkeit, um der Verdrängung und dem steigenden Platzmangel in den Großstädten zu begegnen.
Du giltst als Pionier der Tiny House Bewegung in Deutschland. Wie lebt es sich in einem Tiny House und was bedeutet es für dich darin zu wohnen?
Ich glaube man ist auf ganz andere Weise mit der Umgebung und Nachbarschaft verbunden. Jeder würde wahrscheinlich sein Tiny House dorthin stellen, wo man schon immer mal wohnen wollte. Das kann ich mit einer normalen Wohnung nicht machen *lacht*. Ich glaube, dass die Menschen immer selbstständiger und freier leben wollen und mit einem Tiny House ist genau das möglich, erst recht, wenn es auf Rädern montiert ist. Tiny Houses bieten die Möglichkeit günstig zu wohnen, ohne sich arm fühlen zu müssen, weil man vieles hat was man braucht und das auf eine schöne Art.
Hattest du nie den Wunsch große, ausladende Gebäude zu entwerfen?
Während meines Studiums habe ich viele Museen und andere repräsentative Bauten planen müssen. Mir liegt das ehrlich gesagt nicht so richtig. Ich fühle mich mehr der Städteplanung verschrieben, obwohl ich mir da mittlerweile auch nicht mehr sicher bin, ob man das überhaupt machen sollte: Städte durch und durch planen. Gerade von scheinbar unsortierten und dichtbesiedelten Vierteln wie Slums oder Townships können wir noch eine Menge lernen, zum Beispiel wie Nachbarschaft dort entsteht und wie sich die Menschen dort organisieren.
Du hast für eine Weile in Hamburg eine Gastprofessur angenommen. Dort hast du dein gesamtes Gehalt gespendet und alle Studenten im Vorfeld sehr gut bewertet. Was hatte es damit auf sich?
Das war ein Experiment. Ich wollte ausprobieren, was es mit den Menschen macht, wenn ich ihnen sage, dass ich an sie glaube. Es gibt ja schon einige Studien, die belegen, dass Menschen ganz andere Leistungen bringen, wenn man an sie glaubt und sie durch Vertrauen motiviert. Gleichzeitig habe ich mich gefragt, wie es sein kann, dass die Studierenden fürs Studieren bezahlen müssen, um an der Uni zu arbeiten und die Professoren gleichzeitig so viel Geld verdienen und vergleichsweise wenig arbeiten. Klar, die Professoren haben studiert, und auf manchen Gebieten bestimmt mehr Wissen, aber sollten sie deshalb so viel Geld verdienen? Ich habe das für mich verneint und daher mein Geld gespendet.
Kommen wir zur letzten Frage. Wie sollte sich die Architektur in Deutschland deiner Meinung nach in den nächsten Jahren weiterentwickeln?
Wir sollten in Zukunft sehr viel ressourcensparender bauen, also auf Materialien wie Stahl und Beton verzichten, denn das sind für mich keine Zukunftsmaterialien. Die Architektur sollte sich langfristig auf neue Rohstoffe konzentrieren, sonst wird die Klimaerwärmung immer weiter voranschreiten und Naturkatastrophen weiter zunehmen. Zum anderen geht es darum Räume der Möglichkeiten zu konzipieren und zu schaffen. Mir stellt sich die große Frage, ob es in Zukunft wirklich noch einen konkreten Plan geben muss, um Gebäude errichten zu können. Es gibt viele Kulturen, in denen Pläne nie wirklich existiert haben und trotzdem sind interessante Bauwerke entstanden. Die Architektur sollte dazu kommen, jenseits des gezielt Planbaren, neue Räume und Gebäude zu entwickeln und vor allem soziale Begegnungsmöglichkeiten zu schaffen.