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Abaton-Programmchef Matthias Elwardt © Heike Blenk

Kino wird besonders, wenn zwischen der Leinwand und dem Publikum etwas passiert.

von Laura Bähr

Herr Elwardt, was bedeutet Kino für sie?

Ich schätze es sehr, dass in Zeiten von permanenter, digitaler Angebote und kleinen Bildschirmen, das Kino etwas Großes ist, was man gemeinsam erleben kann. Man wird nicht abgelenkt und kann sich für ein paar Stunden nur auf einen Film konzentrieren. Ich mag das Kino auch so sehr, weil es ein Ort ohne Schwellen ist, man braucht kein Vorwissen, keine Sprachkenntnisse. Wenn der Film gut gemacht ist, kommt man in die Geschichte rein, egal in welchem Land er gedreht wurde. Kino ist meiner Meinung nach die offenste und auch spannendste Kunstform. Im Kino bündeln sich die Künste, von Fotografie bis Theater.

Wie informieren sie sich über Filme?

Das ist ein schwieriges Thema. Als ich in den 90er Jahren angefangen habe, musste ich 200-300 Filme pro Jahr sichten. Aktuell sind es 700 bis 800 Filme. Die Zahl hat sich in den letzten Jahren verdoppelt, ein weltweites Phänomen. Wenn man das auf Deutschland herunterbricht haben wir doppelt so viele Filme wie vor zehn Jahren. Das Problem ist, die Anzahl an Kinos und Besuchern ist gleichgeblieben. Das heißt, ein Film hat heute nur noch die Hälfte der Besucher, die er früher hatte. Auch wenn große Filme immer noch die Massen ins Kino locken, gehen viele kleine Filme leer aus.

Worauf legen sie bei Ihrer Filmauswahl wert?

Mein Anspruch ist es, das bestmögliche Programm für mein Publikum zu finden. Dabei sollte es auch jung sein. Meistens wähle ich das Programm in  zwei Schritt aus. Zunächst muss ich sehen, welche Qualität ein Film hat und dann entscheiden, wie lange er welchen Saal füllen könnte. Um das zu schaffen, muss ich verdammt viel schauen. Obwohl ich zugeben muss, dass ich es gar nicht schaffen kann alle 800 Filme im Jahr komplett zu sichten. Die Büroarbeit und die Organisation der Events nimmt schließlich auch viel Zeit in Anspruch.

Was sagt der Trailer über einen Film aus?

Sagen wir mal so, der Trailer ist in der Regel höchstens besser als der Film. Wenn der Trailer schon grottig ist, dann ist der Film meistens gar nichts, weil der Trailer schon die besten Szenen enthält. Wenn ein Film mit einer gewissen Spannung arbeitet, dann muss man ihn allerdings ganz gesehen haben, um ein Gefühl dafür zu bekommen. Hilfreich ist es auch viele Kritiken zu lesen, aber auch offen darauf zu reagieren, wie andere Menschen den Film wahrnehmen. Ich liebe es Filme auf Festivals zu schauen, weil man dort sofort die Reaktionen des Publikums mitbekommt. Das Besondere beim Kino ist doch, wenn zwischen der Leinwand und dem Publikum etwas passiert. Dafür müssen die Menschen noch nicht einmal klatschen, aber man merkt sofort, ob der Film ins Schwarze getroffen hat oder nicht.

Was macht einen guten Film aus?

Das wichtigste beim Film ist ein überzeugendes Drehbuch und starke Schauspieler. Marcel Reich-Ranicki hat mal gesagt, ein gutes Buch erkenne man nach 30 Seiten. Wie beim Buch merkt man auch beim Film relativ schnell, ob er gut ist. Genauso wie das Publikum bei einem Roman merkt, ob der Schriftsteller mit Sprache umgehen kann, merken die Menschen beim Film auch, ob der Regisseur sein Handwerk versteht. Man muss sagen, dass die meisten Filmproduktionen besonders viel Wert auf einen tollen Anfang und ein tolles Ende legen. Der Mittelteil kann dann schon mal ein bisschen durchhängen *lacht*.  Aber ich kenne keinen Film, der am Anfang misslungen ist und dann ein Meisterwerk wird.

Welche Veränderungen gab es in der Filmbranche in den vergangenen Jahren?

Es gibt viel, viel mehr Filme. Durch die Digitalisierung und die veränderten Produktionsbedingungen hat sich so einiges verändert. Allein die Herstellung eines Films ist sehr viel günstiger geworden. Früher hat eine Filmkopie ein paar tausend Euro gekostet und es gab nur eine begrenzte Zahl. Heute ist eine Kopie für das Kino so groß wie eine 300g-Schokolade und wenn man nett fragt, bekommt man sie auch für zwei Vorstellungen in der Woche. Das wäre früher nie möglich gewesen. Wir zeigen heute 350 verschiedene Filme im Jahr. Beinahe jeden Tag einen neuen Film, den wir in allen Sprachen anbieten können – jederzeit On-Demand. Auch der ganze Prozess rund ums Filme schauen, das Kaufen der Karten, das Äußern eines Filmwunsches, es geht alles viel schneller und einfacher.

Hat sich das Kino-Publikum verändert?

Das Publikum allgemein ist etwas älter geworden, gleichzeitig aufgrund meines ausgeweiteten Kinderprogramms aber auch jünger. Das Publikumsinteresse hat sich ebenfalls sehr verändert. Früher gab es Kinofilme, deren Besuch bereits ein politisches Statement war. Bei Homosexualität oder Frauenthemen trafen sich ganze Communitys im Kino. Wir zeigen auch Filme zum Thema Flüchtlinge. Da bekommt man einmal eine Veranstaltung voll und das war es, danach interessiert das Thema keinen mehr. Ganz selten funktionieren noch Umweltthemen. „Die unbequeme Wahrheit“ war zum Beispiel ein Erfolg, den zweiten Teil wollte dann allerdings auch schon keiner mehr sehen.

Wie erklären sie sich dieses Phänomen?

Ich glaube das Prinzip von Facebook funktioniert ähnlich. Damit ein Thema funktioniert, muss es eine gewisse Größe haben. Ich betrachte das gerne mathematisch. Wenn man etwas mit eins multipliziert, wird es nicht größer. Die Menschen müssen heute mehrmals angestoßen werden. Man muss etwas in der Zeitung lesen, im Internet finden und von einem Freund darauf hingewiesen werden, damit man sich überhaupt damit beschäftigt.

Was kann das Kino, was sonst kein Medium kann?

Ich finde das Kino ist ein toller Treffpunkt für ein erstes Date. Es bräuchte so etwas wie eine Kinodating-App. In Amerika gibt es ja schon den Begriff des „Datemovies“. Und so ein Kinofilm ist doch auch die perfekte Situation. Erstmal sitzt der andere nur neben einem, man muss überhaupt nicht miteinander reden, erfährt aber durch seine Reaktionen auf den Film doch schon einiges über den Charakter. Und wenn man das Treffen nach dem Film fortsetzten möchte, hat man direkt ein Gesprächsthema. Wenn man sich in Hamburg umschaut, sind die Hälfte der Haushalte Single-Haushalte. Und sind wir mal ehrlich, ich kenne keinen Single der wirklich glücklich ist. Klar, es gibt viele die sehr gut allein zurechtkommen, aber wirklich glücklich sind sie meist nicht. Der Mensch braucht ein Gegenüber.

Wird diese Situation nicht schon von Netflix und Co. Abgelöst?

Das glaube ich nicht. Ich glaube auch, dass Netflix sich irgendwann totläuft. Klar, es gibt einige tolle Serien auf Netflix, aber es gibt noch mehr schlechte. Die Medien sind auf diese Plattformen angesprungen, weil die ein super Marketing machen. Aber filmtechnisch ist da meiner Ansicht nach nicht viel Großes dabei. Außerdem ist es eine absolute kulturelle Verarmung was Netflix da macht. schließlich gibt es nur eine einzige deutsche Serie. Wenn Netflix die Welt darstellt, dann sind es häufig durchgeknallte amerikanische Geschichten. Außerdem finde ich dieses serielle Erzählen auf Dauer sehr ermüdend.

Was macht Hamburg als Kinostadt besonders?

Es gibt keine Großstadt, in der so viele Kinos für ihr Kinoprogramm mit dem Spitzenpreis für das beste Jahresprogramm der Republik ausgezeichnet wurden. Wir haben tolle Regisseure, die auch internationale Erfolge feiern, aber da könnte noch mehr passieren.

Nach 28 Jahren verlassen Sie das Abaton-Kino. Was wünschen Sie sich für das Kino und sich selbst?

Ich wünsche uns beiden weiterhin bewegende Geschichten mit tollen Schauspielern von großartigen Regisseuren. Es gibt so viel zu erzählen.