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Der Zeitdruck der in unserem Bildungssystem herrscht, kommt von der Politik.Jytte-Merle Böhrnsen © Lou van Door

Der Zeitdruck der in unserem Bildungssystem herrscht, kommt von der Politik.

von Laura Bähr 

Jytte, du hast bereits mit 6 Jahren im Schauspielhaus in Hamburg auf der Bühne gestanden. Was bedeutet dieser Ort für dich?
Jytte-Merle Böhrnsen: Das war eine ganz wichtige Zeit für mich. Das Schauspielhaus Hamburg ist beinahe wie ein kleines Zuhause, obwohl da immer wieder neue Leute einziehen (lacht). Für mich war das damals als Kind natürlich ein großer Spielplatz. Daran sind ganz viele Kindheitserinnerungen geknüpft und ich habe immer ein warmes, wohliges Gefühl, wenn ich daran denke.

Wie wichtig sind solche Orte heute noch? Man hat das Gefühl, dass sie immer unwichtiger werden.
Ich glaube nicht, dass sie unwichtiger geworden sind. Sie sind für unsere Gesellschaft einfach nur nicht mehr so präsent und man muss sie immer wieder in das Leben der Menschen holen. Die Orte müssen sich zeitgemäß aufstellen, medialer werden und auch Inszenierungen für ein jüngeres Publikum anbieten. Sonst fallen sie häufig in unserer Freizeitgestaltung hinten runter, weil es einfach eine so große Bandbreite an Möglichkeiten gibt. Das Kino hat gerade auch zu kämpfen, weil viele Leute lieber zuhause auf ihrer Couch sitzen, wo sie „on demand“ schauen können, was sie wollen. Dabei ist so ein Schauspielhaus ein total wichtiger Ort. Allein beim Betreten des Gebäudes hat man häufig das Gefühl man spürt ein Stück Kultur und Geschichte, die sich dort über Generationen hinweg etablieren konnten.

Was macht einen Besuch im Theater denn heute noch besonders?
Ich glaube das gemeinsame Erleben von etwas, das einmalig ist. Theater hat was Aktuelles, was man unmittelbar auf die Bühne bringt und das man in direktem Kontakt mit dem Publikum teilt. Es ist ja keine Show auf der Leinwand, die in diesem Moment parallel tausende Menschen sehen können, sondern etwas Einmaliges, was in der Form nie wieder so erlebbar sein wird. Im Theater findet ein sozialer Austausch statt, den man so nirgends findet. Gerade deshalb ist es in meinen Augen wichtig, schon die jüngsten Besucher früh ans Theater heranzuführen. Es werden starke Erinnerungen bleiben.

Wieso glaubst du sind die Theater für Jugendliche und junge Erwachsene nicht mehr interessant? Was müsste sich ändern?
Ich glaube das Theater an sich ist schon jünger geworden. Die Verantwortlichen ändern ihr Artwork, versuchen aus sich rauszukommen, ihr Angebot dem Publikum anzupassen. Viele Theater oder Inszenierungen versuchen auch schon mit kleinen Videos oder Teasern zu werben. Das kommt gut an. Das Theater steht vor einer besonderen Hausforderung und geht mit der Zeit. Das tat es schon immer.

Was würde uns ohne Theater fehlen?
Gute Geschichten mit aktuellem Bezug. Theater eröffnet einem Welten ohne VFX oder Riesenbudgets. Einfach nur durch die Kraft der Imagination.

Du bist bis heute Mitglied des „Kellertheater“, einem Amateurtheater in Hamburg. Man hat den Eindruck einfach nur ein Hobby zu haben ist heutzutage nicht mehr „in“, es muss immer gleich die große Karriere daraus werden. Was sagst du dazu?
Meine Großeltern haben damals zum Beispiel eine totale Krise bekommen, als sie erfahren haben, dass ich Schauspielerin werden wollte. Es hieß immer „mach doch was Anständiges“, mit einer Basis und einem sicheren Einkommen, das Hobby kann ja dann Hobby bleiben. Ich finde, wenn man sich für etwas entscheidet und diesem Hobby die Chance gibt zum Beruf zu werden, dann sollte man das auch machen. Wenn man aber eine Leidenschaft hat, die man nicht unbedingt zu seiner täglichen Passion machen will, dann ist das was anderes und super. Mein liebstes Hobby ist zum Beispiel ein bisschen ungewöhnlich, ich blase Glas. Ich liebe das, aber mein Beruf wird es trotzdem nicht.

Also sollten wir uns auch mal erlauben Dinge zu tun, ohne den Anspruch daran zu haben, dass sich etwas Professionelles daraus entwickelt?
Ja. Unbedingt. Nur weil man Amateur in einer Sache ist, heisst das ja nicht, dass man nichts kann. Es ist eben nur nicht der tägliche Beruf. Das ist immer so eine Krux, wenn man seine Leidenschaft zum Beruf macht, muss man sich auch darüber bewusst sein, dass es dann der Beruf ist. Dann muss man vielleicht auch in Stücken spielen, in denen man dann nicht die Rolle hat, die man sich wünscht oder die nicht zu den Lieblingsstücken zählen. Es verliert durch die Berufung manchmal etwas von dieser Liebe, was aber nicht bedeutet, dass man die auf eine andere Art und Weise nicht wiederfinden kann. Es ist eigentlich wie eine Beziehung, man verheiratet sich mit seinem Hobby, ist mit dem dann sehr eng verbunden und manchmal kriselt es auch. Im schlimmsten Fall kann man sich aber natürlich auch scheiden lassen (lacht). Ich bin aber auf jeden Fall dafür, dass man Hobbies hat und nicht alles sofort nur noch auf dem einen professionellen Weg ausübt.

Deine TV-Karriere begann mit deiner Rolle in der deutschen Telenovela „Bianca -Wege zum Glück“. Wieso kommen Telenovelas bei den deutschen Zuschauern bis heute so gut an?
Diese Serie bietet eine kurze Pause vom wahren Leben und das kann ab und zu sehr erholsam sein (lacht). Man beobachtet ja quasi das Leben einer anderen, fiktionalen Person, ohne dass man selber zu Schaden kommt. Ich glaube in den Menschen ist ja auch immer diese Neugierde verankert, dass man wissen möchte, was in dem Leben anderer Personen passiert. Man entwickelt, wenn die Rolle gut und authentisch verkörpert wird, da eine Art Wissensdurst, der gestillt werden möchte. Dann ist es auch nicht schlimm, wenn man mal zwei Folgen verpasst, da steigt man ja schnell wieder ein (lacht).

An dem Drehbuch für „Amelie rennt“ hast du mitgeschrieben. Der Film gewann auf der Berlinale die Special Mention und beim deutschen Filmpreis die Lola als Bester Kinderfilm. Was macht ein gutes Drehbuch aus?
Wenn man es beim Lesen nicht mehr weglegen will. Und wenn ich durch die Geschichte einen Mehrwert für mein eigenes Leben erfahre.

Du studierst neben deiner Schauspielkarriere noch Philosophie. Warum?
Ich wollte eigentlich Theaterregie studieren, habe dann aber gemerkt, dass das mit meinem Beruf als Schauspielerin nicht zu vereinbaren ist. Und dann habe ich tatsächlich den Rat von einem Dozenten bekommen Philosophie zu studieren. Im Studium hab ich dann viel über Schlüssigkeit gelernt, was mir fürs Schreiben viel bringt.

Du hast mal gesagt „Studieren kann man bis ins hohe Alter“, diesen Eindruck scheinen viele junge Menschen heute nicht zu haben und versuchen ihre gesamte akademische Karriere innerhalb weniger Jahre erfolgreich zu beenden. Woher kommt dieser Zeitdruck?
Ich glaube man hat nie ausgelernt. Der Zeitdruck der in unserem Bildungssystem herrscht, kommt von der Politik. Anders kann ich mir das nicht erklären. Heute macht man manchmal schon mit 17 Abitur, studiert mit 18 und ist Anfang 20 auf dem Arbeitsmarkt. Das ist absichtlich so gewollt. Es gibt ein soziales Jahr auf freiwilligen Basis. Seit es keinen verpflichtenden Zivildienst mehr gibt, wird dieser wesentlich weniger genutzt. Ich finde da vertut man sich was, das ist meine persönliche Meinung. Ich kann nur jedem empfehlen sich Zeit zu lassen. Am Ende des Tages muss natürlich jeder für sich selbst entscheiden, was ihn glücklich macht.

Vor ein paar Wochen meinte ein Schauspielkollege im Gespräch er hätte mittlerweile die „Gesetze des Schauspielmarktes“ akzeptiert. Geht es dir genauso?
Ich glaube dafür bin ich zu rebellisch. Ich denke dann immer, „Nee ich kann auch anders.“ Jetzt habe ich gerade bei „Professor T.“ einen Neonazi gespielt und so doof es klingt, ich bin darüber sehr dankbar, weil der Caster mich sozusagen gegenbesetzt hat. Gegen meinen „Typ“. Ich werde häufig für die „lieben“ Rollen, aber auch für die „Schrullige“ und die „Durchgeknallte“ besetzt. (lacht). Das finde ich super. Der „Troublemaker“ liegt mir. (lacht) Das hat mir meine Schauspiellehrerin auch in der Ausbildung schon bestätigt.

Woran liegt das, dass man gewisse Typen immer in die selbe Schublade stecken will?
Das liegt einfach am Wesen und am Typ der man eben ist. Es geht um Authentizität. Ich kann mich schließlich auch nur innerhalb der Möglichkeiten, die ich habe, bewegen. Ich könnte natürlich versuchen auch einen dicken, alten Mann zu spielen, aber das würde mir ja keiner abkaufen. Da würden nur alle lachen (lacht). Tatsächlich ist es aber ja verständlich, dass wenn man einen bestimmten Typ, oder eine Figur gut verkörpert hat, und damit Erfolg hat, dass diese Figur auch gern wieder gesehen wird. Ich finde als Schauspieler/in hat man aber auch die Verantwortung sich selbstgegenüber, nicht stehen zu bleiben und die Aufgabe sich ständig weiterzuentwickeln. Das ist kein Beruf, den man ausgelernt hat, nachdem man sein Schauspieldiplom erhalten hat.

Wie meinst du das?
Als Schauspieler muss man sich ständig neu erfinden und an seine Grenzen gehen. Schließlich entwickelt man sich ja auch als Mensch weiter und wir Schauspieler sind nun mal unser eigenes Instrument. Wenn dann einschlagende Momente im Leben passieren oder man sich einfach nur vom Teenager zum Erwachsenen entwickelt oder selbst Kinder bekommt, kann man natürlich auf einmal ganz andere Figuren in ihren Träumen und Bedürfnissen verstehen und diese dann auch ganz anders darstellen.

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