
Johanna Wokalek: Der Kapitalismus frisst den Menschen geradezu auf, weil sich dem Gewinn alles unterzuordnen hat.
von Laura Bähr
In dem Film „Deutschstunde“ geht es um das Kunst- bzw. Malverbot der damaligen Zeit. Welche Rolle spielt Kunst in Ihrem Leben?
Johanna Wokalek: Eine sehr große, vor allem Bilder. Mein Großvater hat immer viel gemalt, sodass ich mit Gemälden in meinem Umfeld aufgewachsen bin. Für mich ist Kunst und insbesondere die Malerei unheimlich inspirierend – auch in der Vorbereitung auf Rollen.
Aktuell lebe ich viel in Paris und da gehe ich sehr häufig in Ausstellungen und merke immer wieder, dass sich mir manche Bilder regelrecht einbrennen. Oft sind es Landschaftsbilder, die ein besonderes Gefühl in mir auslösen, Porträts von Frauen, auch ihre Kleidung. Solche Eindrücke inspirieren mich auch für bevorstehende Projekte. Da gehe ich schon mal zur Kostümbildnerin und berichte von meinen Ideen. Malerei lässt unglaublich viel Raum für Assoziationen.
Für die meisten Menschen scheint das Museum ja nicht mehr so attraktiv…
Johanna Wokalek: Ich glaube viele bräuchten einfach mehr Hilfestellung. Es geht schließlich auch um das Verstehen des Gesehenen und nicht nur das reine Betrachten des Bildes. Da hilft es natürlich sehr, wenn man Kunst gemeinsam mit jemandem betrachtet, der einem die Hintergründe und die Entstehung der Geschichte des Bildes erklären kann und einem somit hilft die Kunst als Ganzes zu begreifen. Ich persönlich gehe sehr gerne ganz alleine durchs Museum, nehme mir immer nur einen ganz kleinen Teil vor und merke mir dann die Bilder, die mich besonders ansprechen, um mir diese in einem zweiten Durchgang nochmal genauer anzusehen.
“Für mich ist Kunst und insbesondere die Malerei unheimlich inspirierend – auch in der Vorbereitung auf Rollen.”
Ihr Mann ist Musiker und Dirigent, ist das manchmal auch etwas zu viel Kunst im Leben?
Johanna Wokalek: Eigentlich nicht, schließlich gehören unsere beiden Berufe fest zu uns. Die Berufe und auch die Kunst sind nicht von uns zu trennen. Natürlich ist unser Alltag sehr von diesen beiden Ausdrucksformen und auch den Gesprächen darüber geprägt, aber das lieben wir. Ich kann mir unser Leben auch gar nicht anders vorstellen.
Sie haben in einem Interview mal gesagt, Ihr Mann hätte die Ohren, sie die Augen. Aktuell scheint das Visuelle ja immer wichtiger zu werden. Ist das auch eine Gefahr, wenn die anderen Sinne immer mehr ausgeblendet werden?
Johanna Wokalek: Vor allem die ununterbrochene Bilderflut im Alltag, die uns tagtäglich konfrontiert, ist gewaltig. Ich könnte auch nicht mehr sagen, welches die wichtigen Bilder sind, weil sich die Zahl so stark potenziert hat. Das gleicht einer täglichen Attacke auf unsere Sehnerven. Ich glaube, die Bilderwelt ist an einem Punkt, an dem sie sich durch die Masse nivelliert. Heute scheint nur noch die Quantität der Bilder relevant, die Qualität ist gleichgültig. Darin liegt aber die Kraft des Kinos begründet.
Inwiefern?
Johanna Wokalek: Wenn der Regisseur und der Kameramann gemeinsam eine Bildwelt kreieren, diese auf ihre ganz persönliche Art und Weise konsequent verfolgen und fast schon eine eigene Welt erfinden, dann ist das etwas Besonderes. Deswegen ist es auch bei vielen Filmen unbedingt notwendig, dass sie auf der großen Leinwand gesehen werden, weil man nur so in diese Bildwelt eintauchen kann.
Das komponierte Bild eines Kinofilmes darf nicht aussterben. An solche Bilder aus Filmen erinnert man sich ewig, weil sie mit Geschichten und Gefühlen verknüpft sind. Bilder sind heute nur noch Reize haben aber nicht mehr den Stellenwert einer wahrhaftigen Information oder einer Geschichte. Das ist ein unglaublicher Umbruch.
“Das komponierte Bild eines Kinofilmes darf nicht aussterben.”
Also wird das Kino noch weiter bestehen?
Johanna Wokalek: Das Kino steckt in einer Krise. Die jungen Leute gehen nicht mehr ins Kino, sondern schauen ihre Filme auf dem Tablet oder dem Handy. Diesen Umbruch zu leugnen würde nichts bringen, wir müssen beobachten und mitgehen, aber trotzdem weiter Kinofilme machen und dafür sorgen, dass die Leute nicht vergessen, dass ein Kinobesuch etwas Besonderes ist.
Im besten Fall sollten diese Formate auch alle gleichstark nebeneinander bestehen können, schließlich befriedigen sie alle unterschiedlichen Bedürfnisse. Außerdem jungen Menschen das besondere eines Kinoerlebnisses vermitteln.
Im Film wird immer wieder der „brauchbare Mensch“ zum Thema. Werden wir heute auch immer mehr auf Brauchbarkeit getrimmt?
Johanna Wokalek: Die Erfüllung der Pflicht ist das Gebot des Handelns dieser Figur. Der Dorfpolizist in „Deutschstunde“ ist in einer „blinden“ Pflichterfüllung gefangen und das ist das Schreckliche daran. Denn dass wir Pflichten haben, ist ja nicht unbedingt etwas Negatives, Pflichten können auch positiv sein und uns Struktur geben.
Aber natürlich, der Mensch muss immer brauchbarer werden, weil wir in einer kapitalistischen Gesellschaft leben, in der die Arbeit und letztendlich der Gewinn das absolute Lebensziel darstellt. Das Problem dieses Systems ist es, dass der Mensch dabei verloren geht. Der Kapitalismus frisst den Menschen geradezu auf, weil sich dem Gewinn alles unterzuordnen hat.
“Der Mensch muss immer brauchbarer werden, weil wir in einer kapitalistischen Gesellschaft leben, in der die Arbeit und letztendlich der Gewinn das absolute Lebensziel darstellt.”
Wie meinen Sie das genau?
Johanna Wokalek: Ich beobachte den Verlust von Empathie und wirklicher Wertschätzung untereinander und auch das respektvolle Miteinander. Der vermeintliche Erfolgsdruck sowohl im wirtschaftlichen Sinne aber auch im Bezug auf die Außenwahrnehmung hat in den letzten Jahren ungeheuer zugenommen. Was die Gesellschaft im Bezug auf ein soziales Miteinander dafür zu opfern bereit ist, ist wirklich erschreckend.
In einem Interview sagten Sie mal, dass Ihnen die Routine Angst macht…
Johanna Wokalek: Natürlich ist es keine Lösung ständig irgendwo hinzufliehen, wenn es einem an einem Ort zu langweilig wird. Bei mir war das damals eine rein künstlerische Entscheidung. Ich musste einfach mal ausbrechen, um wieder neu und wach aufs Leben schauen zu können. Es heißt ja, wenn man eine Tür zumacht, geht eine neue auf. Dafür einmal das Burgtheater in Wien zu verlassen und z.B. jetzt in Paris viel Zeit zu verbringen war für mich die ganz richtige Entscheidung.
“Ich beobachte den Verlust von Empathie und wirklicher Wertschätzung untereinander und auch das respektvolle Miteinander.”
Sie spielen häufig starke Frauen. Reizen Sie diese Charaktere, weil sie Ihnen am nächsten sind oder Sie sie bewundern?
Johanna Wokalek: Ich lese die Drehbücher und dann klingt etwas bei mir an oder nicht. Die Frau des Malers in „Deutschstunde“ fand ich sehr spannend, weil sie ganz anders war. Keine starke Frau im klassischen Sinne, schließlich gibt sie für ihren Mann und dessen Kunst ihre Karriere als Sängerin auf. Für uns heute kaum nachvollziehbar.
Wie glücklich tatsächlich mit dieser Entscheidung ist, ist eine andere Geschichte. Eigentlich ist Ditte eine Figur, die mehr und mehr verschwindet. In ihren Augen kämpft ihr Mann viel zu wenig darum weiter seine Kunst auszuüben. Daher lässt sie es letztlich zu, dass sie stirbt, sie gibt auf. Für mich ist das ein stiller Prostest und darin ist sie sehr stark.