Julia Hartmann
Julia Hartmann © Niklas Vogt

Julia Hartmann: Ich kann auch mit einer gesunden Psyche einen Mörder spielen.

von Laura Bähr

Julia, du bist als Tochter eines Dr­amaturgen und einer Tänzerin aufgewachsen. Hat man es im „Showbusiness“ leichter, wenn man von klein auf irgendwie Teil davon ist?
Julia Hartmann: Ich glaube es kann auf jeden Fall leichter sein, weil das „künstlerische Leben“ von Anfang an Normalität ist. Ich habe natürlich viel von Zuhause mitbekommen. Allerdings habe ich im Laufe der Zeit immer mehr festgestellt, dass es viel mit Selbstbewusstsein zu tun hat. Auch wenn Menschen aus einem ganz anderen Bereich kommen, wenn genügend Selbstbewusstsein und Talent da ist, dann kommt man in dieser Branche weit. Glück ist natürlich auch eine immer eine Komponente. 

Also ist Selbstbewusstsein die wichtigste Eigenschaft eines Schauspielers? 
Julia Hartmann: Eine Wichtige. Ständiger Selbstzweifel und alles zu hinterfragen ist giftig. Ich habe für mich festgestellt, je mehr ich bei mir bin und mich nicht andauernd selbst verurteile, je desto ruhiger und konzentrierter bin ich auch bei Dreharbeiten und Castings.

„Ständiger Selbstzweifel und alles zu hinterfragen ist giftig.“

Ist das eine Veränderung der letzten Jahre, dass das Selbstbewusstsein immer wichtiger wird? 
Julia Hartmann: Ich glaube das war schon immer wichtig. Das Klischee – Image von Schauspielern früher war ja eher das Rockstar-Ding, mit Starallüren und Stimmungsschwankungen, die offen ausgelebt werden konnten. Betrunken das Hotelzimmer verwüsten und so (lacht). Ich habe das Gefühl heute ist das Ganze ruhiger geworden und die meisten sind sehr konzentriert auf die Arbeit. Für mich ist es schwierig in Schubladen zu denken, also dass nur ganz spezielle Charaktere ganz spezielle Rollen spielen können.

Gute Schauspieler müssen keine Choleriker oder depressiv sein, um Figuren spielen zu können, die Depression haben oder cholerisch sind. Sicher können emotionale Erfahrungen im Leben ein Vorteil sein, wenn es eine gesunde Trennung zwischen Beruf und Realität gibt. Ich kann auch mit einer gesunden Psyche einen Mörder spielen. Das Wichtigste ist glaube ich, dass man bei sich bleibt und somit lande ich wieder beim Thema Eigenverantwortung und Bewusstheit.

Was meinst du damit? 
Julia Hartmann: Ich darf Fehler machen und muss nicht immer perfekt sein, auch nicht vor der Kamera. Ich glaube das berührt die Menschen auch mehr. Mir geht es als Zuschauer jedenfalls so. 

„Ich kann auch mit einer gesunden Psyche einen Mörder spielen.“

Muss man als Schauspieler denn immer selbst leiden oder schaffst du da eine Distanz zwischen dir und deinen Rollen? 
Julia Hartmann: Vor und auch noch am Anfang der Schauspielschule dachte ich tatsächlich immer, wenn ich vor der Kamera oder auf der Bühne weine, muss ich auch persönlich gerade den schlimmsten Moment meines Lebens nochmal durchleben. Heute kann ich da viel besser zwischen den Emotionen meiner Rollen und meinen eigenen Gefühlen unterscheiden.

Man kann bestenfalls an den Schmerzpunkt herankommen, und gleichzeitig einen inneren Beschützer aktivieren. Es gibt auch Tricks, mit denen man sehr heftige Szenen und Figuren abschütteln kann, um sie nicht mit ins Privatleben zu nehmen. 

Du wurdest nach deinem Abschluss an der Schauspielbranche direkt vom Burgtheater in Wien engagiert. Welchen Weg würdest du jungen Nachwuchskünstlern heute anraten?
Julia Hartmann: Ich glaube das kommt total auf den Menschen an. Ich kenne sehr viele Kollegen, die nie auf einer Schauspielschule waren und trotzdem großartig spielen. Für mich war die Schauspielschule neben dem Erlernen des Handwerks auch ein Weg zu mir selbst. Ich glaube für die unsicheren Kollegen ist es ein sehr guter Weg, weil es einen auch persönlich weiterbringen kann.

Allerdings gibt es auch große Unterschiede zwischen den Schauspielschulen. Ich glaube, um später beim Film zu arbeiten, ist es nicht unbedingt nötig auf einer Schauspielschule gewesen zu sein, für die Theaterbühne ist es auf jeden Fall gut. Im Theater muss man groß spielen und trotzdem bei sich bleiben, das müssen die Meisten lernen.

„Ich glaube, um später beim Film zu arbeiten, ist es nicht unbedingt nötig auf einer Schauspielschule gewesen zu sein, für die Theaterbühne ist es auf jeden Fall gut.“

Du spielst in der aktuellen Staffel von „Jerks“ dich selbst. Was macht diese Art von Schauspiel besonders? 
Julia Hartmann: Das Besondere bei „Jerks“ ist, dass es kein klassisches Drehbuch gibt. Es ist als Fließtext geschrieben, in dem jede Handlung in der dritten Person beschrieben wird. Man liest diesen Text, versteht worum es geht und dann geht’s darum zu improvisieren. Das ist natürlich eine Freiheit für Schauspieler.

Ich fand das erfrischend, weil ich wenn ich einen Film im Kino oder Fernsehen schaue, häufig das Gefühl habe, dass ich das Drehbuch „raushöre“. Das ist so eine Schriftsprache, wie zum Beispiel: „Sie wollte einen Keil zwischen uns treiben“ – oder „Wusstest du, dass er dich betrog?“ (lacht) Ich würde das in historischen Filmen so sprechen oder wenn ich eine spezielle Figur spiele, die so redet, aber wenn es um heutige Alltagssprache geht, wirft mich das beim zuhören aus der Geschichte. 

Hast du bei diesem Dreh mehr über dich gelernt? 
Julia Hartmann: Das ist eine gute Frage. Ich spiele in der Serie ja die Freundin von Ralf und im Drehbuch stand ganz oft Julia, die Freundin von… Das hat mich irgendwann so genervt (lacht). Ich wollte unbedingt gleichberechtigt sein und nicht die Freundin von. An dieser Stelle möchte ich festhalten, dass ich im echten Leben nicht mit Ralph zusammen bin.

„Das Besondere bei „Jerks“ ist, dass es kein klassisches Drehbuch gibt.“

Die Serie polarisiert, hat viele Fans, aber auch viele Hater. Deine Meinung zu dieser Art von Humor – darf und sollte im Fernsehen alles gezeigt werden?
Julia Hartmann: Ich glaube, dass jeder für sich selbst entscheiden muss, wo die eigenen Grenzen liegen. Ich bin bei „Jerks“ auch sehr hin und hergerissen, manchmal lache ich laut los und liebe die Szenen und manchmal denke ich mir, okay trifft nicht meinen Humor… 

Meinst du diese Halbimprovisation könnte ein neuer Zweig der deutschen Film- und Serienlandschaft werden? 
Julia Hartmann: „Halbimprovisation“ gab es in verschiedenen Formaten ja immer mal wieder. Was mich als Zuschauer reizt ist eben das Überschreiten der Schamgrenze.Ich weiß nie, wie lange ich eigentlich noch zuschauen möchte, was mich noch erwartet…das macht für mich den Reiz aus. In vielen Filmen fehlt mir ein Überraschungseffekt. Ich ertappe mich oft dabei, dass wenn ich ein Drehbuch lese, bereits auf Seite zwei sagen kann, wie es ausgeht. 

„Ich ertappe mich oft dabei, dass wenn ich ein Drehbuch lese, bereits auf Seite zwei sagen kann, wie es ausgeht.“

Kann der Film deiner Meinung nach überhaupt noch Kunst sein oder geht es bei der Masse mittlerweile nur noch um Unterhaltung? 
Julia Hartmann: Es gibt solche und solche Projekte. Unterhaltung kann ja auf eine gewisse Art und Weise auch Kunst sein. Da sind die Zuschauer wahrscheinlich so unterschiedlich wie die Künstler.  

In einem Interview hast du mal gesagt, „die Natur sei dir heilig“. Wie meinst du das genau? 
Julia Hartmann: Ich kann ganz oft einfach nicht verstehen, wieso wir mit unserem Lebensraum so brutal umgehen, warum wir die Natur nicht als größtes Geschenk ansehen. 

Das Thema „Nachhaltigkeit“ kommt ja immer mehr bei den Menschen an, wird dann aber auch schnell zu einer Art Trendthema. Hipster kaufen sich recycelte Wasserflaschen, einfach nur um cool zu sein. Heiligt der Zweck hier die Mittel? 
Julia Hartmann: Ab und zu rollen Leute mit den Augen, wenn ich vegan bestelle wahrscheinlich, weil das mittlerweile auch zu so einem Trendding geworden ist. Bei so einem wichtigen Thema ist es mir allerdings egal, ob Hipster nur aus Prestige Gründen nachhaltige Produkte kaufen. Letztendlich regiert ja der Kassenbon und wir als Konsumenten entscheiden, was auf dem Markt bleibt. Hier kann jeder etwas bewegen. Also finde ich dieses Thema als Trend super. 

„Ich kann ganz oft einfach nicht verstehen, wieso wir mit unserem Lebensraum so brutal umgehen, warum wir die Natur nicht als größtes Geschenk ansehen.“

Was macht einen guten nachhaltigen Lebensstil aus? 
Julia Hartmann: Ich glaube am Wichtigsten ist es bewusst zu leben. Wenn jeder Mensch bewusst mit der Natur und sich selbst umgehen würde, könnten wir unsere Zeit hier viel mehr genießen Ich kaufe ausschließlich im Biomarkt, selbst wenn ich mal nicht viel auf dem Konto habe, ziehe ich das aus Überzeugung durch und verzichte auf andere Dinge. Kleidung kaufe ich  fair, bio oder Second Hand. Ich steige selten in ein Flugzeug, meine Hauptfortbewegungsmittel sind das Fahrrad, der Zug und die öffentlichen Verkehrsmittel. Ich bin bei Ökostrom, verbrauche so wenig Plastik wie möglich und spende regelmäßig an Hilfsorganisationen. 

Ist das Thema Nachhaltigkeit und Verständnis für die Umwelt auch eine Generationsfrage? 
Julia Hartmann: Bestimmt. Die Generation nach mir ist natürlich mit einer ganz anderen Not konfrontiert und dadurch sehr darauf fokussiert solche Probleme engagiert anzugehen, wie aktuell die „Friday for Future“-Bewegung zeigt. Wir haben damals als Kinder auch Müll gesammelt und wollten etwas Gutes für die Umwelt tun, aber heute steckt natürlich viel mehr Kraft und Reflektion dahinter, das ist sehr beeindruckend. Viele Kinder und Jugendliche wissen und spüren heute, dass sie auch eine Verantwortung für nachfolgende Generationen tragen und das war mir als Kind zum Beispiel nicht bewusst. 

Würdest du sagen, dass jeder Mensch sich Nachhaltigkeit leisten können sollte?
Julia Hartmann: Um nachhaltig zu leben, muss man nicht reich sein. Wenn es allerdings um die Frage Biomakt oder herkömmlicher Supermarkt geht, wird es schwieriger. Deswegen wäre es wundervoll, wenn Bio-Produkte der Standart wären, dann würden sich auch die Preise verringern.  Nachhaltigkeit ist eine bewusste Entscheidung. Als ich Studentin war und nicht viel Geld zur Verfügung hatte, habe ich es trotzdem immer irgendwie geschafft in den Biomarkt zu gehen und dort die günstigsten Produkte zu kaufen. Dafür habe ich z.B. nie Geld für Zigaretten, Drogen oder teure Marken-Kleidung ausgegeben und tue es bis heute nicht.

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