Kristin Suckow
Kristin Suckow ©  David Reisler

Kristin Suckow: Wir wissen heute so viel, können aber alles auch ganz einfach ignorieren.

von Laura Bähr

Kristin, du giltst als eine der erfolgreichsten deutschen Nachwuchsschauspielerinnen der Zeit. Was ist das für ein Gefühl? 
Kristin Suckow: Ist das so? Es ist ein tolles Gefühl, wenn Leuten gefällt, was man tut. Ich empfinde das als große Bestätigung für meine Arbeit. In solchen Momenten habe ich auch immer das Gefühl, dass ich am richtigen Ort bin und das tue, was ich tun sollte. 

Du hast dich für dein aktuelles Projekt „Ottilie von Farber-Castell“ gegen prominente Kolleginnen durchgesetzt. Wie konntest du überzeugen? 
Kristin Suckow: Ich dachte damals, okay, das wird ein spannendes Casting, aber habe mir ehrlich gesagt keine großen Chancen ausgemalt, weil es ja auch immer auf den Marktwert der Schauspieler ankommt, was hat man für eine Vita, bei welchen Projekten hat man schon mitgemacht. Dazu kam noch, dass es enorm viel Text zum Vorsprechen war und ich zwischendurch gar nicht sicher war, wie man das alles lernen soll.

Beim Lernen selber habe ich dann aber gemerkt, wie leicht mir das Ganze fällt, was immer ein Zeichen dafür ist, dass die Szenen gutgeschrieben sind. Beim Casting selbst gab es dann einen kleinen magischen Moment. Es hat sich in dem Moment einfach richtig angefühlt Ottilie zu sein. 

„Beim Lernen selber habe ich gemerkt, wie leicht mir das Ganze fällt, was immer ein Zeichen dafür ist, dass die Szenen gutgeschrieben sind.“

Glaubst du die Anforderungen an Schauspieler haben sich in den letzten Jahren verändert? 
Kristin Suckow: Natürlich ist eine Fanbase durch die sozialen Medien immer wichtiger geworden. Ich habe gerade mal 800 Follower auf Instagram und bin damit ein Beispiel dafür, dass es manchmal auch ohne große Anhängerschaft in den sozialen Medien klappen kann. Außerdem wird der Markt insgesamt immer schneller. Die Drehbücher werden kurzfristiger vor dem Drehstart freigegeben, sodass man weniger Vorbereitungszeit hat. Und auch beim Drehen selber wird die Zeit immer knapper bemessen, die Drehtage werden gekürzt, alles muss weniger kosten. 

Leidet die Qualität dann nicht zwangsläufig? 
Kristin Suckow: Nicht immer. Es kommt darauf an, wie ein Regisseur arbeitet. Wenn alles klappt und eine tolle Atmosphäre am Set herrscht, dann braucht es manchmal auch keine sieben Takes. Erst wenn man in Zeitdruck kommt und das spürbar wird, dann wird der kreative Prozess erschwert. Bei der Vorbereitung ist die mangelnde Zeit manchmal auch ein Vorteil, man hat weniger Möglichkeiten zu prokrastinieren und wird zwangsläufig effektiver (lacht). 

„Bei der Vorbereitung ist die mangelnde Zeit manchmal auch ein Vorteil, man hat weniger Möglichkeiten zu prokrastinieren und wird zwangsläufig effektiver.“

Was braucht es heute, um sich als Schauspieler einen Namen zu machen?
Kristin Suckow: Ich glaube, das Wichtigste ist, dass man seine Arbeit liebt, weil das einen das dazu bringt, viel zu geben und auch viel von sich preiszugeben, was gerade im Beruf des Schauspielers unwahrscheinlich wichtig ist. Außerdem ist es heute bei der großen Konkurrenz sehr wichtig, an sich selbst zu glauben und fleißig zu sein. Man darf keine Angst haben sich auch mal bloßzustellen und zu scheitern. 

Muss man denn als Schauspieler emotional zwangsläufig an seine Grenzen gehen? 
Kristin Suckow: Ich glaube, dass die Psyche den Menschen davor schützt, bestimmte Emotionen zu stark an uns heranzulassen, wie Trauer oder Schmerz. Wir Schauspieler müssen diesen Schutz für unsere Arbeit allerdings ein Stück weit aufgeben. Damit wir verletzbar sind und Emotionen fühlen, die man intuitiv selber in dem Moment vielleicht gar nicht durchleben will. Die spannenden Geschichten drehen sich ja häufig um besondere Situationen im Leben, die dann eben auch mit großen Gefühlen verbunden sind. Also das ist meine Auffassung von Schauspiel, da gibt es bestimmt auch andere Herangehensweisen… 

„Ich glaube, dass die Psyche den Menschen davor schützt, bestimmte Emotionen zu stark an uns heranzulassen, wie Trauer oder Schmerz. Wir Schauspieler müssen diesen Schutz für unsere Arbeit allerdings ein Stück weit aufgeben.“

Du bist in vielen erfolgreichen deutschen Produktionen zu sehen. Der deutsche Film gilt im Ausland immer noch als „minderwertig“. Hast du eine Erklärung dafür? 
Kristin Suckow: Ist das wirklich so oder sehen nur wir das so? Ich glaube eher, dass bei uns der Eindruck herrscht, dass alles was aus dem Ausland kommt, super ist. Allerdings dürfen wir nicht vergessen, dass das meistens nur die besten 10 % sind, während wir bei uns im Land selbst ja die ganze Bandbreite sehen. 

Was macht den deutschen Film besonders?
Kristin Suckow: Das kann man als Deutscher immer so schlecht beurteilen (lacht). Ich glaube im Ausland sind wir vor allem dafür bekannt, dass wir uns viel mit dem Thema Schuld beschäftigen und wir weniger leichten Stoff für die Massen produzieren. Wir legen mehr Wert auf Authentizität im Film. Impro-Filme werden ja auch immer beliebter, weil die Schauspieler noch mehr bei sich selbst sind. Es gibt eine größere Freiheit im Spielen und dadurch eben auch eine größere Intensität bei den Gefühlen, die zum Ausdruck kommen. 

Braucht es denn unbedingt immer Lebenserfahrung, um gewissen Emotionen authentisch vermitteln zu können? 
Kristin Suckow: Ich glaube nicht. Wir müssen die Gefühle, die wir vermitteln wollen, nicht immer unbedingt selbst schon durchlebt haben. Sonst könnten wir ja zum Beispiel auch alle keine Mörder spielen. Das ist ja auch das Schöne an dem Beruf, dass wir mit Fantasie sehr viel lösen können. 

„Impro-Filme werden ja auch immer beliebter, weil die Schauspieler noch mehr bei sich selbst sind. Es gibt eine größere Freiheit im Spielen und dadurch eben auch eine größere Intensität bei den Gefühlen, die zum Ausdruck kommen.“

Ist Fantasie heutzutage Mangelware? 
Kristin Suckow: Vielleicht…es wird immerhin wesentlich weniger gelesen. Und Bücher regen die Fantasie ungemein an. Man schaut sich viel mehr vorgefertigte Bilder an, sodass man im Kopf gar nichts mehr damit machen muss. Es gibt auch weniger Zeit zum Träumen…

Ist das ein aktueller Trend oder eine längerfristige Entwicklung? 
Kristin Suckow: Ich glaube, dass es zu jeder Bewegung eine Gegenbewegung gibt. Die Leute sehnen sich ja jetzt schon wieder mehr nach Ruhe und weniger Dingen im Leben, denen sie wieder mehr Bedeutung zugestehen können.

Deine Rolle Ottilie muss sich mit gerade einmal 16 Jahren in einer männerdominierten Zeit durchsetzen und ein Imperium leiten. Hast du das Gefühl die Zeiten haben sich im Hinblick auf die Macht der Männer in der Welt verändert? 
Kristin Suckow: Wir leben in Strukturen, die von Männern geschaffen wurde, das ist einfach ein Fakt und diese Strukturen aufzubrechen ist ein langer Weg. Man muss auch sehen, dass die ganze Gleichberechtigungsbewegung relativ jung ist. Es wird noch viel Zeit und Auseinandersetzung brauchen, um die tiefverwurzelten Rollenbilder langsam aufzulösen, aber die ersten Schritte sind getan und das haben wir vor allem den Generationen vor uns zu verdanken.

„Man muss auch sehen, dass die ganze Gleichberechtigungsbewegung relativ jung ist.“

Ich habe das Gefühl, dass die Menschen von damals viel mutiger waren, als wir es sind. Wir nehmen heute vieles einfach so hin, das war damals anders. Man hat grundsätzliche Dinge hinterfragt, sich dagegen aufgelehnt. Nur so wurde zum Beispiel auch durchgesetzt, dass Frauen zur Schule gehen durften. Und 1918 gab es dann das Frauenwahlrecht. Damals sind so viele Grundsteine gelegt worden, von denen wir bis heute profitieren. 

Weil wir heute zu träge sind? 
Kristin Suckow: Ich glaube eher zu ängstlich, obwohl wir heute eigentlich viel mutiger sein könnten. Wir wissen heute so viel, können alles aber eben auch ganz einfach ignorieren (lacht). 

Ottilie muss sich immer wieder zwischen den familiären Pflichten und den eigenen Bedürfnissen entscheiden, während wir heute von der Freiheit überfordert zu sein scheinen.  
Kristin Suckow: Freiheit ist leider auch oft mit Druck verbunden. Aber im Großen und Ganzen können wir uns in der westlichen Welt natürlich glücklich schätzen, dass wir unser Leben so individuell gestalten dürfen.

Allein schon das Korsett, das ich beim Spielen von Ottilie immer tragen musste, hat mich an meine eigene Freiheit erinnert (lacht). Wir können uns heute gar nicht mehr vorstellen, was es damals, nur allein in der Wahl der Garderobe für Einschränkungen gab und wie einen so etwas Unbequemes im alltäglichen Leben beeinflussen kann. 

„Freiheit ist leider auch oft mit Druck verbunden.“

Vor deiner Rolle als Ottilie hast du unteranderem auch Anne Frank beim Theater verkörpert. Ziehen dich historische Rollen besonders an? 
Kristin Suckow: Das ist natürlich sehr reizvoll. Man hat viel Material, kann sich viel Anlesen, Bilder anschauen und sich einen Eindruck verschaffen, wie diese Person wirklich war. Auf der anderen Seite ist der Druck jedoch auch höher, weil man den Anspruch hat, diese Person, die wirklich gelebt und gefühlt hat, so gut wie möglich zu verkörpern.

Nach welchem Schema suchst du deine Rollen aus?
Kristin Suckow: Ich habe eigentlich kein Schema, ich suche in Drehbüchern nach Geschichten, die ich gerne erzählen möchte und frage mich, ob es sich um einen Film handelt, den ich selbst anschauen würde.

„Als Schauspieler muss man sich zwangsläufig mit sich selbst beschäftigen, schließlich ist man selbst sein wichtigstes Werkzeug.“

Wofür braucht man Film heute eigentlich überhaupt noch?
Kristin Suckow: Das ist eine gute Frage. Mittlerweile kommen 190 Kinofilme im Jahr raus. Ich glaube man braucht Filme dafür, um in andere Welten eintauchen zu können. Außerdem kann man andere Denkweisen verstehen und den eigenen Horizont erweitern. Man lernt so Charaktere und Geschichten von Menschen kennen, die man sonst vielleicht nie erfahren hätte, die aber für das eigene Leben bereichernd oder auchvon unglaublicher Relevanz sein können. 

Die Schauspielerin Katharina Wackernagel hat mal gesagt: „Nur ich zu sein, macht mich unruhig“. Ist das Schauspielleben immer auch eine kleine Flucht vor dem Persönlichen?
Kristin Suckow: Als Schauspieler muss man sich zwangsläufig mit sich selbst beschäftigen, schließlich ist man selbst sein wichtigstes Werkzeug (lacht). Trotzdem bietet der Beruf natürlich eine Möglichkeit Dinge zu tun und auszuprobieren, die man privat vielleicht nicht durchleben würde. Eigentlich ist es genauso wie bei Künstlern, die auf der Leinwand eine Seite von sich ausleben, zu der sie sonst keinen Zugang gefunden hätten. Man nimmt sich Dingen an, die sonst vielleicht verborgen geblieben wären, also ist es für mich keine Form von Flucht …

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