Jannik Schümann
Jannik Schümann © Max Sonnenschein

Jannik Schümann: Wir leben im 21. Jahrhundert, es sollte keine Rolle mehr spielen, wen und wie man privat liebt.

von Laura Bähr

Jannik, du sagst über dich selbst, du seist Optimist und das Glas ist in deiner Welt immer halb voll. Gab es in der letzten Zeit einen Moment oder eine Situation, in der dein Optimismus ins Wanken geraten ist? 
Jannik Schümann: Eine gute Frage. Natürlich hat man immer mal wieder Momente, die einen ärgern und in denen man sich selbst erinnern muss, dass es einem eigentlich sehr gut geht. Aber ich glaube, selbst wenn ich in einer stressigen Situation bin und von einer Entscheidung oder einer Situation viel abhängt, bin ich bis zuletzt optimistisch.

In deiner neuen Rolle der ZDF-Serie „Westwall“ geht es um radikale Ideologien, die wie langsames Gift in die Gesellschaft sickern. Wovor hast du aktuell Angst? 
Jannik Schümann: Ich habe vor zwei Dingen Angst – das Thema, das Westwall zum Vorschein bringt – nämlich, dass sich rechtes Gedankengut immer leichter verbreiten kann. Und diese Angst ist leider auch gerechtfertigt, wenn man sich die aktuellen Wahlergebnisse ansieht. Das bereitet mir große Angst. Ich kann mir nicht vorstellen, wie man so dumm sein kann, dieses Wahlprogramm, das so eindeutig gegen ein soziales, gerechtes Leben und ein soziales Miteinander ist, zu unterstützen.

Die Serie beschreibt gut, wie leicht es ist, Leute, die den Anschluss verloren und keine Liebe erfahren haben, für diese Ideologien zu gewinnen. Und meine zweite große Sorge ist natürlich das Klima. Wenn man sich die letzte Bundestagswahl anschaut, haben anscheinend immer noch viele Menschen nicht verstanden wie ernst die Lage ist. Dazu fällt mir auch nichts mehr ein. 

„Die Serie beschreibt gut, wie leicht es ist, Leute, die den Anschluss verloren und keine Liebe erfahren haben, für diese Ideologien zu gewinnen.“

Die Serie skizziert eine zerrissene und verunsicherte Gesellschaft, in der die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen. Hast du eine gute Menschenkenntnis? 
Jannik Schümann: Ja, ich würde behaupten, dass ich eine gute Menschenkenntnis habe, was mir in meinem Beruf natürlich auch viel hilft. Ich kann gut auf mein Bauchgefühl vertrauen.

Ist es heutzutage schwieriger zwischen Gut und Böse zu unterscheiden?
Jannik Schümann: Da bin ich mir nicht sicher. Ich glaube, es war schon immer schwer. Die Frage ist natürlich auch, wie jeder einzelne Gut und Böse eigentlich grundsätzlich definiert.

Eine deiner größten Ängste, so sagst du selbst, ist die Verlustangst. Was ist dein höchstes Gut?
Jannik Schümann: Meine Familie. Meine Eltern, meine Geschwister und mein Partner. Zu meiner Familie gehören dabei auch meine engsten Freunde. Diese Menschen waren, sind und werden immer mein höchstes Gut sein. 

Du hast eine enge Bindung zu deinen Eltern. Wie wichtig ist eine glückliche Kindheit deiner Ansicht nach für den weiteren Verlauf des Lebens? 
Jannik Schümann: Sehr wichtig. Ich bin unglaublich dankbar, dass ich so eine tolle Kindheit hatte und weiß auch, wie privilegiert ich bin. Ich habe Freunde, die hatten dieses Glück nicht. Der Optimismus, das Gefühl „sorgenlos in den Tag hineinleben zu können“, die Ruhe, die ich in mir trage, das Vertrauen, dass alles so kommt, wie es kommen soll, das alles habe ich der Erziehung meiner Eltern zu verdanken. Wir wurden mit so viel Liebe erzogen, die lässt einen den Rest des Lebens nicht mehr los. 

„Ich wurde mit so viel Liebe erzogen, die lässt einen den Rest des Lebens nicht mehr los.“

Vor einigen Jahren hast du noch Filmabsagen bekommen, weil du, so die Casting-Agenten „zu schön warst“. Welche Bedeutung spielt die Optik in deinem Leben? 
Jannik Schümann: Meine Selbstwahrnehmung ist natürlich eine ganze andere. Ich nehme mich selbst nicht als „zuschön“ wahr. Ich habe es auch nie verstanden, wenn mir diese Begründung für eine Absage genannt wurde: „Du bist zu schön, dir nimmt man das Leiden nicht ab.“

Selbst wenn man von außen als attraktiv eingestuft wird, wieso sollten attraktive Menschen nicht auch leiden können? Aktuell habe ich jedoch das Gefühl, dass diesbezüglich ein Wandel stattfindet. Durch die Streamingdienste wie Netflix und Co. machen immer mehr junge, und in vielen Augen auch schöne Schauspieler Karriere. Während das in Amerika noch nie ein Problem war, wollten wir in Deutschland in den Hauptrollen bisher immer eine allgemeingültige Identifikationsfläche für den Bürger. Und das sollte natürlich niemand sein, der besonders gut aussieht. Das wäre dann ja schließlich eine Traum-Identifikation. (lacht). Das hat sich geändert.

Viele erfolgreiche Serien kommen aktuell aus Spanien. „Elite“ ist zum Beispiel eine Entertainment-Serie, in der maximal schöne Menschen mitspielen, von denen jeder meiner Ansicht nach schon bewiesen hat, wie er leiden kann.  Als man mich für den Film „9 Tagen wach“ besetzt hat, konnte ich dann endlich unter Beweis stellen, dass ich mit abrasierten Haaren und Narben im Gesicht auch gar nicht mehr so schön rüberkomme. 

„Wir in Deutschland wollen in Hauptrollen immer eine allgemeingültige Identifikationsfläche für den Bürger. Und das sollte natürlich niemand sein, der besonders gut aussieht. Das wäre dann ja schließlich eine Traum-Identifikation.“

Diese Abhängigkeit von den Filmemachern war auch ein Grund, wieso du angefangen hast zu studieren. Wie gehst du im Schauspiel damit um, dass dein Schicksal immer von jemandem abhängt, der vielleicht etwas in dir sieht?
Jannik Schümann: Ich bin privat ein totaler Macher. Ich organisiere gerne, führe Gruppen an und bin sehr strukturiert. Deshalb ist es eigentlich auch merkwürdig, dass ich mir einen Beruf ausgesucht habe, der maximal fremdbestimmend ist. (lacht). Aber vielleicht brauche ich genau das.

Dazu eine kleine Anekdote. Ich habe bis in den August „Sisi“ gedreht und im Januar beginnt ein neues Projekt, bei dem wieder fremdbestimmt wird, wie ich auszusehen habe. Deshalb bin ich direkt nach dem letzten Drehtag zum Friseur gegangen. Abschneiden lassen durfte ich mir die Haare leider nicht, weil sie im Januar lang sein müssen, also blieb mir nur die Option Farbe. Ich wollte einfach irgendwas, was ich mir zur Abwechslung mal wieder selbst ausgesucht hatte. 

„Ich nehme mich selbst nicht als „zuschön“ wahr.“

Die Schauspielbranche scheint aktuell sehr gesättigt. Bist du anfällig für Vergleiche im Business? Und wenn ja, wie schützt du dich davor?
Jannik Schümann: Ich würde lügen, wenn ich sage, mich lässt das total kalt. Allerdings versuche ich, mich davon freizumachen, weil ich weiß, dass wir alle unterschiedlich sind und die Vergleiche eigentlich gar keine Grundlage haben. Ich liebe das Buch „Hektors Reise“. In der Geschichte geht es um einen Mann, der auf der Suche nach seinem Glück ist.

Die erste Weisheit von 23 ist: Vergleiche anzustellen ist ein gutes Mittel sich sein Glück zu vermiesen. Als ich das gelesen habe, habe ich es mir hinter die Ohren geschrieben (lacht). Und sobald ich im Alltag merke, dass ich in Vergleiche verfalle, erinnere ich mich an dieses Zitat. 

Wie schafft man sich seinen Marktwert in der Branche?
Jannik Schümann: Das kann ich leider nicht sagen. Bei mir ist es einfach passiert. Ich bin als 10-jähriger nicht mit dem Ziel losgezogen mir eine Schauspiel-Agentur zu suchen. Tatsächlich wurde ich von einer Frau an der Tankstelle angesprochen und sollte die Schauspielkarte mal meiner Mama geben (lacht). Allerdings glaube ich, dass es sehr wichtig ist, die richtigen Menschen um sich zu haben. Man braucht gute Berater, ein Management, mit dem man sich immer wieder austauschen kann. 

Welche Rolle spielt Geld in deinem Leben? 
Jannik Schümann: Geld macht nicht glücklich, aber es erleichtert das Leben. Ich lege keinen Wert auf Statussymbole, teure Autos oder Markenklamotten. Aber ich liebe das Gefühl spontan ein tolles Wochenende verbringen zu können. Mir keine Gedanken machen zu müssen, mir spontan einen kleinen Luxus, zum Beispiel ein tolles Essen, zu gönnen. Ich weiß, wie schnell das Leben vorbei sein kann, deshalb weiß ich diese Momente umso mehr zu schätzen. 

„Geld macht nicht glücklich, aber es erleichtert das Leben.“

Es heißt, du seist ein Genussmensch. Was bedeutet Luxus für dich?
Jannik Schümann: Dass ich frei und selbstbestimmt leben kann. In einem Land in dem ich mich sicher und gut aufgehoben fühle. Mit meiner Familie, meinen Freunden und meinem Partner an der Seite. Ich habe die letzten Jahre viel in Polen und im Baltikum gedreht. Manchmal vergessen wir mit welchen Privilegien wir in Deutschland leben.

Geht es uns als Gesellschaft zu gut?
Jannik Schümann: Das ist vielleicht zu einfach gedacht. Ich wünschte mir, dass einige Leute während der Pandemie mehr wertgeschätzt hätten, wie gut es ihnen in Deutschland eigentlich geht. 

Gibt es deiner Meinung nach immer mehr Egoisten auf der Welt?
Jannik Schümann: Ich glaube wir Deutschen suchen einfach immer gerne „Buhmänner“. Leute, denen wir alles in die Schuhe schieben können. Es ist immer leichter die Politik, die Wirtschaft oder die Medien für die Dinge verantwortlich zu machen und die Schuld von sich zu schieben. Ein bisschen mehr Wertschätzung und Zufriedenheit würde unserer Gesellschaft aber bestimmt guttun, ja. 

Für deine Rolle als Franz in der Sisi-Neuverfilmung musstest du neben Personaltraining für einen gestählten Oberkörper viele neue Dinge, wie reiten und fechten lernen. Bewegen wir uns als Erwachsene zu wenig aus unserer Komfortzone? 
Jannik Schümann: Auf jeden Fall. Ich nehme mir auch immer Dinge vor und dann schaffe ich es doch nicht. Meine häufigste Ausrede ist dann immer „keine Zeit“. Aber vermutlich bin ich nur zu gemütlich. (lacht). Mein großes Glück ist es, dass ich durch meinen Beruf regelmäßig dazu „gezwungen“ werde, neue Dinge zu lernen. Auch dafür liebe ich meinen Job. 

„Ich glaube wir Deutschen suchen einfach immer gerne „Buhmänner“. Leute, denen wir alles in die Schuhe schieben können.“

Lena Urzendowsky sagte in einem Interview mit uns: „Zufriedenheit ist eine Fähigkeit, die in unserer Zeit leider immer mehr verloren geht. Es geht nur noch um kurzfristige Ekstasen.“ Wann warst du das letzte Mal wirklich „zufrieden“? 
Jannik Schümann: Ich glaube ich bin jetzt gerade sehr zufrieden. Ich hatte eins der tollsten Wochenenden meines Lebens in Cannes. Dort über den roten Teppich zu laufen, das war ein lang gehegter Traum von mir. Ich versuche mir aber jeden Tag ins Gedächtnis zu rufen, wie zufrieden ich eigentlich sein kann.

Was bedeutet Erfolg für dich?
Jannik Schümann: Beruflich bedeutet Erfolg für mich, mich für Rollen entscheiden zu dürfen und Dinge auch mal abzusagen, die ich nicht spielen will und die mich nicht reizen. Privater Erfolg heißt für mich Menschen zu finden, die ich liebe und die mich lieben. 

„Erfolg bedeutet für mich, mich für Rollen entscheiden zu dürfen und Dinge auch mal abzusagen.“

Du hast in einem Interview gesagt, dass du „lange Zeit fest davon überzeugt warst, dass du als Schauspieler nicht öffentlich schwul sein kannst“. Warum? 
Jannik Schümann: Es gab vor meinem Post im Dezember 2020 und vor der großen #ActOut- Kampagne nahezu keine öffentlich queeren Personen aus meiner Branche. Ich hätte sie aber gebraucht als junger Mann, um gezeigt zu bekommen, dass öffentliche Homosexualität im privaten Leben und der Beruf des Schauspielers sehr wohl zu vereinbaren sind.

Es wird einem leider immer noch von vielen Agent:innen dazu abgeraten, den Schritt in die Öffentlichkeit zu gehen. Es heißt, dann werden einem keine heterosexuellen Rollen mehr angeboten. Das macht mich wütend. Ich habe schon viele Mörder gespielt, was nicht heißt, dass ich privat schon viel gemordet habe. Das eine hat ja mit dem anderen nichts (!) zu tun. Ich wollte all dem ein Ende setzen und ein Vorbild sein.

Was machen wir in der Gesellschaft falsch, dass sich solche Gedanken immer noch in den Köpfen vieler junger Menschen festsetzen? 
Jannik Schümann: Wenn man sich versteckt und sich trotz fester Überzeugung, dass solche Gedanken falsch sind, nicht an die Öffentlichkeit traut, um zu zeigen: Leute, wir leben im 21. Jahrhundert und es sollte keine Rolle mehr spielen, wen und wie man privat liebt!, dann kann man die Gesellschaft auch nicht voran bringen. Ich wollte ein Role Model sein und vielen Menschen Mut und Kraft geben!

WESTWALL

ZDF: Samstag, 27. November 2021, 21.45 Uhr und 22.30 Uhr (Folgen 1 und 2)
ZDFneo: Dienstag, 7. Dezember 2021, 21.45 Uhr (Folgen 1-3) und Mittwoch, 8. Dezember 2021, 21.45 Uhr (Folgen 4-6)
ZDFmediathek: 20. November 2021 bis 19. November 2022 (alle Folgen)

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