© Avelina Boateng

Jasmin Shakeri: “Die Branche ist nur so oberflächlich, wie man es für sich zulässt.”

von Laura Bähr

Jasmin, im Alter von 16 Jahren hast du angefangen, als Background-Sängerin unter anderem für Künstler wie Jan Delay und Yvonne Catterfeld zu arbeiten. Was war deine wichtigste Lektion „in der zweiten Reihe“?
Jasmin Shakeri: Das ist eine sehr schöne Frage. Das Arbeiten “in der zweiten Reihe” ist für mich ein unabdingbarer Bestandteil meiner künstlerischen Laufbahn, besonders als Schreiberin. In dem Moment, in dem man selbst ins Rampenlicht tritt, wird man vom Beobachtenden zum Beobachteten und ich habe mich in diesen Jahren “hinter den Kulissen” darauf trainiert, diese Beobachtende zu bleiben, um durchlässig für die Geschichten und Verhaltensweisen meiner Mitmenschen zu bleiben. Meine Songs und Filmmusiken leben davon. Das Backgroundsingen hat zudem mein musikalisches Ohr für Harmonien sehr geschult. Ich werde für immer auch “in der zweiten Reihe” arbeiten.

Heute bist du neben deiner eigenen Musik auch als Songwriterin für Künstler wie Andreas Bourani, Joy Denalane und Elif tätig. Schreibst du die Stücke erst und entscheidest dann, wer der richtige Sänger*in dafür ist, oder werden die Songs spezifisch auf die Künstler zugeschnitten?
Jasmin Shakeri: Es läuft immer so ab, dass die Künstler:innen an mich herantreten, was auch richtig ist. Sie sollen entscheiden, wer für ihre Musik die passende Sprache mitbringt. Würde ich Songs schon vorher schreiben und sie ihnen dann präsentieren, würde wahrscheinlich ein für sie wichtiger persönlicher Bezug fehlen.

Hat es dir auch schonmal wehgetan ein „Baby“ wegzugeben, von dem du weißt, dass es toll geworden ist und du des selbst aber nicht singen und performen wirst?
Jasmin Shakeri: Das war selten so. Es kam mal vor, dass es ein Song war, der mehr an eine meiner persönlichen Erfahrungen angelehnt war. Aber das Endergebnis hätte ich selbst nicht besser singen können.

“Das Arbeiten “in der zweiten Reihe” ist für mich ein unabdingbarer Bestandteil meiner künstlerischen Laufbahn, besonders als Schreiberin.”

Der Schauspieler Max von Thun sagte in einem Interview mit uns: „Kreativität muss nicht immer etwas sein, was man mit nach Hause nimmt und daran Geld verdient. Das ist ein Trugschluss der heutigen Gesellschaft.“ Fühlst du dich manchmal unter Druck gesetzt, eine gute Melodie im Kopf oder eine gute Zeile direkt in einen Song umzusetzen?
Jasmin Shakeri: Sagen wir so: In dem Moment, wo man FÜR jemand anderen schreibt oder eine Musik für einen Film komponiert, handelt es sich um einen Auftrag. Meistens gebunden an ein bestimmtes Zeitfenster. Natürlich ist man diesen Faktoren unterworfen und das macht sicherlich zu Beginn etwas Druck.

Verrückt ist aber, dass man im Laufe der Jahre lernt, auf seine Fähigkeiten zu vertrauen und bei Stunden des Leerlaufs nicht panisch zu werden. Man lernt, dass es Bestandteil des Prozesses sein kann, bei drei verabredeten Writing-Sessions am 1. und 2. Tag nur zu reden, sich auszutauschen, zu sammeln und vielleicht am 3. Tag dann erst wirklich mit dem Schreiben anzufangen. Gemeinsames Musizieren, Schreiben, Erschaffen ist ein Dialog. Und gute Gespräche haben ihren eigenen Rhythmus.

Nimmst du Musik anders wahr, seitdem du dein Geld damit verdienst?
Jasmin Shakeri: Noch eine sehr gute Frage. Das habe ich mich noch nie gefragt. Aber sagen wir so: Seit ich von der Musik und besonders von meinen Texten leben kann, fühlt es sich an, als wäre die Bezahlung eine Art überfällige Schuldenbegleichung vom Universum. Es brauchte so endlos viele Stunden des unbezahlten Textens und Arbeitens, bevor es dann wirklich anfing zu flowen. Labelbosse der Plattenfirmen finanzieren ihre Firmenwagen durch die kreative Arbeit der Writer:innnen und Künstler:innen, bezahlen aber bis heute fast nie Geld für die Writing-Sessions selbst.

Das heisst: Kohle sehen die Kreativen oft erst, wenn der Song ein HIT wird. Das ist ein Spiel mit dem Lebensunterhalt vieler Kreativer. Wenn inzwischen also Writer:innen gutes Geld verdienen, für eine Session Gagen aufrufen und ihren Wert erkennen, dann feiere ich das unfassbar ab. Musik ist und bleibt unser aller Boss, unabhängig vom Geld. Schreiben wir einen Hit, verdienen andere daran mit, oft mehr als wir selbst. Das Geld hat mir bezüglich meiner Musik nur gezeigt: Du hast da einen Schatz. Verscherbel den nicht. Sorg dafür, dass der größte Teil des Kuchens bei uns Kreativen bleibt.

“Seit ich von der Musik und besonders von meinen Texten leben kann, fühlt es sich an, als wäre die Bezahlung eine Art überfällige Schuldenbegleichung vom Universum.”

Wie schafft man es heute in der Flut an Musik Aufmerksamkeit für seine Songs zu generieren? Ist das Marketing mittlerweile wichtiger als der Inhalt und die Stimme? Die richtigen Kontakte relevanter als Talent?
Jasmin Shakeri: Ich gehör zu denen, die den Übergang von physischen Alben zu digitalen Streams praktisch hautnah erlebt hat. Während vor 5-6 Jahren viele noch ganze Alben produziert und auch im Handel physisch als CD/ LP verkauft haben, läuft inzwischen alles über Streaming-Dienste und das oft über Singles. Es gibt so etwas wie “das ist die Single, das ist ein “Albumsong” selten bis gar nicht mehr. Das ist etwas schade, weil die “B-Seiten” ihren eigenen Charme hatten. Aber es steht noch immer jedem Artist frei, zu releasen, was er/sie fühlt.

Wenn ich mit meiner Band D.R.A.M.A. einen 5 Minuten langen, politischen Song namens “Outro” als erste Single release, dann weiß ich, dass der Song kein Playlist/Radiopotenzial nach den heutigen Parametern mitbringt. Wenn ich es fühle, werden andere Tracks folgen, die das tun. Marketing ist nie falsch und nie unwichtig, aber es wär mega unfair von mir zu behaupten, dass die aktuellen Charterfolge der Kolleg:innen darauf basieren und dass ihnen die Qualität der Songs nicht wichtig ist. Die Zeiten haben sich geändert, das Konsumverhalten auch allein durch die Menge an Releases. Wir gewöhnen uns alle um. Es wird sich einpegeln.

Tom Beck sagte in einem Interview mit uns: „Jeder Künstler könnte an jedem Album bis ans Ende seines Lebens weiterarbeiten. Das ist die Hürde der Kreativen.“ Wie schaffst du es, ein Song oder sogar ein Album zu Ende zu bringen und dann zu sagen „das ist gut, das lassen wir jetzt so“?
Jasmin Shakeri: Schaff ich nicht. Zum Glück entscheiden bei meinem Writing für Andere die Künstler:innen selbst, wann sie sich mit dem Song wohlfühlen und wann released wird. Meine eigenen Songs sind nie fertig. Aber ich werd sie trotzdem veröffentlichen.

In einem Interview sagtest du „Ich steh einfach auf Sprache, die Beschäftigung mit phonetischen Klängen und Kommunikation in jeder Form“. Die Kinder und Jugendlichen von heute lassen immer häufiger ganze Satzteile weg, die Ansprache wird durch ein „Alter“ ersetzt. Wie stehst du zu diesem Umgang?
Jasmin Shakeri: Das widerspricht sich für mich nicht. “Alter” zu sagen, ist ebenfalls eine Form der Kommunikation. Man muss einfach wissen, wann was passt. Es ist für mich ein Anfängerskill in Sachen Kommunikation die Sprache den Umständen der Umgebung flexibel anpassen zu können. Wenn ich jetzt zu dir “Alter” oder “Digga” sage, dann muss es möglich sein, dass ich beim ersten Treffen mit der zukünftigen Schwiegermutter eine andere Adressierung auf Lager habe. Sprache schafft mal Nähe, mal Distanz. Auch das Auslassen von Sprache- ein Schweigen- ist Kommunikation. Gemeinsam mit Gebärden/Körpersprache, Mimik, dem Klang der Stimme, ist Sprache einfach ein vielschichtigstes und wichtiges Geschenk.

“Meine eigenen Songs sind nie fertig. Aber ich werd sie trotzdem veröffentlichen.”

Verändert der Umgang der Sprache im Alltag auch deinen Umgang mit der Sprache in deiner Musik?
Jasmin Shakeri: Ich habe das mal beobachtet. Mal ist das so und mal nicht. Beide Entscheidungen fallen bewusst. Auch hier spielt eine Rolle, wen ich adressiere, welches Genre ich bediene, wen ich erreichen möchte. Es ist aber auch wichtig zu sagen, dass auch meine Sprache im Alltag denselben Schwankungen unterliegt: Ich spreche nicht immer Straße oder immer eloquent. Mein Gegenüber ist entscheidend. Ich find es etwas gestört, wenn zum Beispiel Lehrer:innen bei einer 4-Jährigen dieselbe Wortwahl und Körpersprache an den Tag legt wie unter Kolleg:innen im Lehrerzimmer. Sich auf das Gegenüber einstellen zu können, ist eine Voraussetzung für gute Kommunikationsskills und erfordert ein ganz wichtiges Mindestmaß an Empathie.

Du bist seit Kurzem auch als Schauspielerin tätig. In Kinofilmen mit Karoline Herfurths „Einfach mal was schönes“ oder der Comedy-Serie „Deadlines“. Was gibt dir das Schauspiel, was die Musik nicht kann?
Jasmin Shakeri: Beim Spielen zeigt sich das Gefühlte noch mal auf einer anderen Ebene – dem Körper. Man verkörpert etwas als Figur, während es sich bei einem Song fast noch anonym über die Stimme und den Text erzählen lässt. Ich kann den Grad meines Wohlfühlens vor der Kamera inzwischen ganz gut daran bemessen, wie mein Körper sich bei einer Szene verhält. Wenn ich merke, dass sich mein Körper dem Gesagten unterwirft, also nicht dagegen arbeitet, dann weiß ich, dass ich auf dem richtigen Weg bin.

Ich habe Schauspiel nicht studiert und bin auf diese Mechanismen angewiesen. Aber mich reizt der Moment ungemein, indem meine Gestik und Körpersprache nicht dem widersprechen, was ich sage. Man kann keine lässige Elif in der Sprache suggerieren, um dann den Bauch einzuziehen, wenn man spricht. Die Entspannung muss sich im wahrsten Sinne des Wortes “breit” machen. Das ist ein sehr intuitives Tool, mit dem ich die Authentizität sicherzustellen versuche. Das liebe ich besonders am Spielen.

In „Deadlines“ geht es um das Leben von vier Frauen in ihren 30ern, die wichtige Entscheidungsphasen durchleben. Es geht um Kinder, Liebe und Selbstverwirklichung. Wie hast du deine 30er erlebt? Sind sie wirklich die entscheidensten Jahre im Leben?
Jasmin Shakeri: Ich kann mich genau daran erinnern, dass das Thema Vergänglichkeit mich nach meinem 30. Geburtstag aufgrund des Todes meiner Oma sehr stark heimsuchte. Da sein, weg sein, die Welt dreht sich weiter. Das hat sich bis heute gehalten. Inzwischen empfinde ich aber die 40er als meine schönsten und lehrreichsten Jahre bisher bei weitem. Ich hoffe, dass ich das dann in den Jahren mit 50, 60, 70 auch so empfinde. Auch wenn ich ab und an mal nostalgisch an die Sorglosigkeit meiner Teenie-Jahre im schönen Berlin der 90er-Jahre zurückdenke und mich ärgere, dass es davon so wenig Videomaterial gibt. Aber wahrscheinlich machte genau das den Charme der Zeit aus. Mann, war das gut. Wirklich.

“Beim Schauspiel verkörpert man etwas als Figur, während es sich bei einem Song fast noch anonym über die Stimme und den Text erzählen lässt.”

Deine Rolle Elif ist Investmentbankerin. Welche Rolle spielt Geld in deinem Leben?
Jasmin Shakeri: Wer behauptet, dass Geld nicht glücklich macht, der hat welches. Das ist kein Satz, den jemand von sich gibt, der jeden Tag existenziell kämpft. Geld zu haben, kann extrem helfen. Einem selbst und, wenn man kein egoistisches Arschloch ist, vor allem anderen. Dass Geld ALLEIN nicht glücklich macht, das stimmt. Aber wer Geld hat, kann teilen, helfen, Gutes tun. Zu leben wie Sauron in Mittelerde, die Mitmenschen am Verhungern, dann ist doch klar, dass das keine freudvolle Party wird! Vielleicht machst du einfach die goldenen Schlosstüren auf und lässt das Glück rein. Ich hab gerne Geld, weil ich genau weiß, wofür ich es brauchen kann.

In einem Interview sagtest du, dass du dich in deinem Körper, auch wenn er nicht mehr der einer 20-Jährigen ist, wohler fühlst als je zuvor. Woran liegt das?
Jasmin Shakeri: Ich war die letzten Jahre etwas strenger mit mir, hab an mir gearbeitet, hab gute Freund:innen die mir ein Korrektiv sind und mag mich jetzt mehr. Ich mag vielleicht auf alten Bildern noch straffere Schenkel haben als heute, dafür fremdele ich total mit dem Blick, dem Ausdruck meiner Augen. Da sehe ich auch bei meinen Lieben: Was die Augen im Älterwerden erzählen, das ist sagenhaft schön. Als würden die Augen der Jugendjahre einen angucken, um die eigene Spiegelung zu sehen und die Augen des Alters hinsehen, um Kontakt aufzunehmen. Ich liebe, wenn das Leben passiert.

Wie schaffst du es, dich in einer Branche von Oberflächlichkeiten und dem immer andauernden Drang nach Jugend und Schönheit nicht ablenken zu lassen?
Jasmin Shakeri: Ich hab für mich gemerkt, dass die Branche nur so oberflächlich ist, wie man es für sich zulässt. Mich zwingt niemand, dünn zu sein, mich zwingt niemand perfekt auszusehen. Ich orientier mich an den inzwischen vielen Künstler:innen, die all diese Äußerlichkeiten schon längst nicht mehr zum Thema machen. Man kann sich diesem Stress aussetzen oder ihm aus dem Weg gehen. Ich wiege momentan mehr als jeder zweite männliche Hauptdarsteller in Deutschland und habe Arbeit. Das ist der Vorarbeit vieler schlauer Menschen geschuldet. Ich orientier mich einfach nur an ihnen.

“Ich hab gerne Geld, weil ich genau weiss, wofür ich es brauchen kann.”

Als Künstler muss man sich heutzutage in den sozialen Medien inszenieren. Siehst du diese Möglichkeit als Chance oder Gefahr für deine Branche?
Jasmin Shakeri: Ich habe keine Schauspielagentur, kein Musik Management. Ich repräsentiere mich selbst. Die sozialen Netzwerke sind für mich eine gute Möglichkeit, das zu tun. Ich kenne gut arbeitende Schauspieler:innen und Musiker:innen die kein Instagramprofil haben oder es so gut wie gar nicht bedienen. Die Gefahren für die Branchen liegen meiner Meinung nach prioritär woanders. Mit zum Beispiel unfairen Verteilungen und Vergütungen der Musiker:innen im Streaming oder der mangelnden Förderungen neuer Drehbuchideen im Film wird in den Kreativen oft schon zu Beginn die Lust auf Neues und Mutiges im Keim erstickt. Wenn alles Fast Money sein muss, braucht man sich über einen Qualitätsverlust nicht zu wundern.

Du nutzt deine Stimme auch als Aktivistin und willst deine Bekanntheit in erster Linie nutzen, um auf die Probleme der Welt aufmerksam zu machen. Wenn du dir aktuell eine Sache von der Welt und der Menschheit wünschen dürftest, welche wäre das?
Jasmin Shakeri: Ich glaube, dass wir das Privileg des Wegsehens, des “Uns Nicht Zuständig- Fühlens” damit verspielt haben, dass wir es in Sachen Ignoranz übertrieben haben. Die Welt fliegt uns um die Ohren. Und wenn wir so weitermachen, dann auch bald hier. Ich wünsche mir, dass sich jede/jeder Einzelne einer Ungerechtigkeit annimmt und diese zu beheben versucht. Wenn nicht für einen selbst, dann doch bitte wenigstens für die eigenen Kinder.

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